Smile and Burn und "Morgen Anders": Deutsche Texte find' ich scheiße - aber auch nicht alle
03.01.2020 | Jan-Severin Irsch
Mit einem Tritt durch die Tür eröffnen die Berliner ihr Album mit dem Song „Zubetoniert“ und dem wohl ironischsten Statement „Deutsche Texte find ich scheiße“. So philosophischer Punk, der mit einem Augenzwinkern die eben neuen deutschen Texte der Band hinterfragt, denkt man sich. Hach, Smile and Burn sind zurück. Schön! Ähnlich wie der Titeltrack "Action Action“ auf einem vorherigen gleichnamigen Album, schafft es dieser Song, die Zuhörerschaft direkt zu überzeugen und das Feuer zu entfachen.
Und so zünden sie an, wie auch im zweiten Song des Albums „Zünde mich an“. Kritik an der „perfekten“ Gesellschaft, die zum Beispiel auf Instagram keine Makel zeigt, weil keine erlaubt sind. Textzeilen wie „alles geht in Flammen auf“ beziehen sich auf die sogenannten “Quickreactions“ der Social-Media-App, die Zeile “ich weiß ihr könnt es nicht sehen, endlich bin ich wunderschön“ verkörpert dieses seltsame Denken der Gesellschaft, dass Fehler beziehungsweise körperliche Makel nicht erlaubt sind. Dieses Zurücklehnen und auf Aufmerksamkeit warten, sich über kleine Herzsymbole freuen, oder das exzessive Nutzen von Photoshop für das perfekte Bild und die meisten Likes, zählt bei "Zünde mich an“ nicht. Anzünden für die fünfminütige mediale Aufmerksamkeit. Wie schön, dass es den Punk gibt, der letzte sichere Hafen für genau solche “Unvollkommenheit“. Endlich hat mal jemand einen Song darüber oder viel mehr dagegen geschrieben. Man ist gut so wie man ist, man muss sich nicht verstellen und Ehrlichkeit siegt.
Der perfekte Übergang zum vierten Song des Albums „Mit Allem Falsch“. Auch wenn dieser Song abgeht, kann einem doch eine Träne ins Auge kommen. Er hat eine schöne, melancholische Note, die vermutlich mit der Bandhistorie zusammenhängt. Von 5 auf 4 auf 3 ist als Band nicht mal eben so zu verkraften. Hier wird die Band intim und geht mit sich so ehrlich und offen mit sich ins Gericht, wie es vor ihnen vermutlich nur Metallica für den Dreh ihres Dokumentationsfilms taten. „Niemals gibt der Misserfolg uns recht“ singen die Jungs aus voller Kehle. Das dazu passende Musikvideo liefert weitere Infos darüber, womit die Band „mit allem falsch“ lag, zum Beispiel in Bärenkostümen bei Circus HalliGalli aufzutreten oder mit einer rauchenden Puppe Promo vor laufender Kamera zu machen. Kummer rappte vor Kurzem in seinem Track “Nicht die Musik“ in vollster Ironie: “Lieder von Siegern über das Siegen, alles erlaubt, außer verlieren. Echte Männer sind Gewinner, echte Männer weinen nicht“. Er nahm damit sich selbst und den gesamten Mainstream des Deutschraps aufs Korn. Smile and Burn sind genau so ehrlich mit sich selbst. Sie blicken zurück, halten inne und lassen ihre Bandgeschichte Revue passieren. Genau das macht diese Band noch sympathischer, diese gnadenlose Ehrlichkeit. Die Fettnäpfchen aufzählen, in die man über die Jahre reingetreten ist und daraus einen großartigen Song und ein ausdrucksstarkes Musikvideo zu machen, ist ein überragender Kunstgriff und trifft sein Ziel.
Wertung
Zwar heißt der letzte Song „Fühlt sich das nach Ende an“, aber es bleibt die Hoffnung, dass Smile And Burn damit nicht ihr Ende meinen. Mit diesem großartigen Album hat das Trio die Messlatte für deutschen Punk sehr hoch gelegt und man kann nur hoffen, dass sie viele weitere Jahre auftreten, Musik machen und Hörerschaft wie Publikum begeistern. Und das Allerbeste: Es klingt immer noch nach Smile And Burn, auch wenn sie zu dritt und nicht mehr zu fünft sind. „Jetzt wird zubetoniert“. Wer weiß, vielleicht schaffen sich Smile and Burn ja jetzt ein neues Fundament fürs neue Jahrzehnt.
Wertung
"Zünde mich an" ist bereits vor einigen Wochen in meiner Spotify-Wochenplaylist aufgetaucht und ohne Zögern in meine geherzten Songs gewandert. Smile And Burn treffen auf Deutsch voll meinen Geschmack und liefern mit „Morgen Anders“ wuchtigen Punkrock mit dem richtigen Maß an Kritik. Philipp hat mit dem Sprachwechsel für mich den genau richtigen Schritt vollzogen und klingt absolut stark. Chapeau!
Jan-Severin Irsch
Jan-Severin macht seit er denken kann Musik. Durch verschiedene Chöre, Bands und Lehrer ist er mittlerweile Lehramtsstudent für Musik mit Hauptfach Gesang, ist Sänger seiner eigenen Alternative/Punkrock-Band und Teil eines Barbershop-Chores in Köln. Von Klassik bis Jazz, von Chor- bis Punkrockmusik hört und spielt er alles gern. Ohne Musik geht nicht.