Twenty Øne Piløts und "Clancy": Befreiung von den Dämonen der Vergangenheit
02.06.2024 | Frank Diedrichs
Am 22. Februar 2024 kündigten Twenty Øne Piløts mit ihrem Social Media-Video „I am Clancy“ ihr neues Album und die Fortführung der Story an, die sich im letzten Track „Redecorate“ des Albums „Scaled And Icy“ bereits abzeichnete. Dieses Video blickt zurück und fasst die Geschichten von „Blurryface“ über „Trench“ bis zur genannten letzten Veröffentlichung zusammen. Detailliert auf die Mythen, Hintergründe und Interpretationen einzugehen, die das Duo geschaffen haben, sprengt den Rahmen einer Review, ist aber mit Sicherheit einen eigenen Artikel wert.
Das Ende besagten Videos führt direkt in den ersten Track des Albums ein – „Overcompensate“. Der Opener verbindet das kraftvolle Schlagzeugspiel Josh Dun mit elektronischen, schnellen Beats und Sprechgesang. Aber bereits der folgende Song „Next Semester“ springt ins nächste Genre. Post-/Garagepunk-typisch drängt sich der Sound in den Vordergrund und verbindet sich mit dem melodischen und sehr gefühlvollen Gesang Tyler Josephs. Und so vielfältig im Sound wie es die ersten beiden Tracks erahnen lassen, gibt sich auch der Rest des Albums. Der Wechsel von HipHop-Tracks wie „Backslides“ hin zu Dream-Pop („Routines Of The Night“) mag für ein Album ungewöhnlich sein, führt aber in der Gesamtbetrachtung zu einem sehr abwechslungsreichen Album, da auch immer wieder Elemente zusammengebracht werden („Vignette“, „Lavish“). Dabei gelingen der Band immer wieder besondere Momente. „The Caving (Jenna’s Version)“ ist so ein Moment - ein Liebeslied, akustisch reduziert und authentisch gesungen.
Einer der Gründe, warum diese Variationen dem Album guttun, liegt letztlich im Songwriting und der Komposition. Joseph und Dun gelingt es, die Stimmungen der Lyrics mit dem passenden Sound einzufangen. Songs wie „At The Risk Of Feeling Dumb“ benötigen nun mal einen Klangteppich, der HipHop-Elemente und DreamPop mit Postpunk-Gitarren verbinden, während die Stimmung in „Oldies Station“, geprägt vom Kampf zwischen Aufgeben und Weiterkämpfen, nur durch die Leichtigkeit des Indie-Folk begreifbar wird. Begreift mensch die Reise Clancys als Spiegel der Innensicht Tyler Josephs, als Auseinandersetzung mit seinen Dämonen der Vergangenheit, erkennt besonders im Track „Snap Back“, welcher Kampf über Jahre in Tyler Joseph tobte.
Zu jedem Song des Albums veröffentlichten Twenty Øne Piløts ein Video, welches die einzelnen Songs nicht nur ergänzt, sondern eine Symbiose bilden lässt. Mensch erkennt, dass jedes Video mit Bedacht und größtmöglicher Verbundenheit zu Lyric und Sound gedreht worden ist. Dies ist mit Sicherheit ein weiterer Grund, warum der vielfältige Sound funktioniert und das Album als Einheit erscheinen lässt, denn diese Videos ermöglichen den Hörenden eine etwas andere Herangehensweise des Hörens und damit vielleicht auch eine neue Erfahrung. „Clancy“ ist ein Album für mehrere Sinne – visuell, auditiv und emotional.
Diskografie
- Twenty Øne Piløts (2009)
- Regional Of The Beast (2011)
- Vessel (2013)
- Blurryface (2015)
- Trench (2018)
- Scaled And Icy (2021)
Wertung
Twenty Øne Piløts bringen die musikalische Reise der Selbstfindung ihres Charakters Clancy in ihrem neuen Album "Clancy" zum Abschluss. Dabei funktioniert das Album sehr gut auch ohne die Einbettung in den Gesamtkontext. Die Vielfalt im Sound, durch das Verweben von Genres wie DreamPop, Postpunk und HipHop, die Zerbrechlichkeit und Offenheit in den Texten, die sich mit der Vergangenheit und ihrer Bewältigung in der Gegenwart beschäftigten, und die Visualisierung der Songs, machen dieses Album zu etwas Besonderem und Intimen. Und so konnte ich mich beim Hören auf meine eigene Reise begeben...
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.