„Gut und dir“ von Keele klingt nach allem – nur nicht nach Debüt
23.04.2017 | Miriam Rhein
Die drei magischen Worte „Gut und dir“ etikettieren den ersten Longplayer der Hamburger detailgetreuer, als es zunächst den Anschein machen will. Es ist die abgedroschene Standardfloskel, mit der sich die Generation Praktikum am Leben hält. Dabei versucht sie sich und ihrer Umwelt einzureden, wie gut doch alles sei.
Aber Keele portraitieren, dass eben nicht alles gut ist. Es muss immer schneller, weiter und besser gehen. Schließlich ist „die Skyline im Rücken / der Plan vor der Brust“ das Ideal, mit dem sich Menschen spätestens mit Ende 20 heute messen müssen. (Leistungs-)Druck ist nicht nur im Intro „Sauerstoff wird knapp“ das Leitmotiv, es schwingt wie „Geister“ bei jedem Titel mit. Was eine Flucht daraus aber auslösen kann, schilderten die Fünf schon in der bereits erschienenen Single „Terminal“.
Mit jeder Zeile spielen die Hamburger mit dem paradoxen Tun des tagtäglichen Lebens. Dabei fühlt sich jeder einmal ertappt. Wie bescheuert und sinnlos sind schließlich diese Freundschaften, die nur (noch) aus Smalltalk und Kaffee bestehen? Wieso verlassen wir uns auf das Irgendwann, anstatt aktiv zu handeln, um aus einer Komfortzone auszubrechen, die schon lange keinen Komfort mehr bietet? Mit den Tracks „Uwe Hochmut“, „Handfaust“ und dem Titelsong zum Album „Gut und dir“ liefern die Hamburger zwar keine Antworten auf diese Fragen, rütteln aber sprachlich treffsicher am eigenen Verstand.
Und plötzlich sitzt man da mit seinen fast 27 Jahren, hört „Siebenundzwanzig“ und muss sich eingestehen, dass er unangenehm treffsicher ist und nicht mehr aus dem Kopf geht: „Wie lang hast du gebraucht / bis du aufhörst zu tanzen / wenn die Musik nicht mehr läuft?“ Mit diesem Flaggschiff zeigen Keele einmal mehr, warum „Gut und dir“ einfach nicht nach Debütalbum klingen will.
Das sprachliche Kalkül dieses Longplayers erinnert an Akribie und Schärfe aus der Feder von Jörkk Mechenbier, dessen Band Love A die Hamburger bei zwei Konzerten im Mai auch supporten werden. Dazu kommt der klangliche Wechsel zwischen Turbostaat’scher Monotonie in den Versen und melodiösen und eingängigen Refrains.
Keele können aber auch über ihren eigenen Tellerrand blicken, hinüber zum Schicksal anderer. Mit „Über Grenzen“ ist ihnen ein Manifest gegen Rechts gelungen. Der Song malt ein Bild von Geflüchteten, die ihr Leben aus dem Krieg, über das Meer, bis nach Deutschland gerettet haben und bei ihrer Ankunft viel zu oft von Menschen mit Flaggen, Parolen und geballten Fäusten empfangen werden. So künstlerisch und ausgeklügelt viele Textzeilen der Fünf auch sind, die vermutlich wichtigsten halten sie ganz simpel. Damit es jeder versteht.
„Schön, dass du da bist / es ist schön, dass du da bist.“
Keele Tour 2017
- 28.04.17 Hamburg, Hafenklang (Releaseparty)
- 24.05.17 Oberhausen Druckluft
- 25.05.17 Köln, Tsunami
- 26.05.17 Wiesbaden, Schlachthof (+ Love A)
- 27.05.17 Leipzig, Conne Island (+ Love A)
- 28.05.17 Berlin, Badehaus
- 15.06.17 Kiel, Schaubude
- 16.06.17 Flensburg, Volksbad
Wertung
Keele sollte man ab sofort auf dem Radar haben. Textliche Akribie und musikalische Treffsicherheit ergeben hier eine großartige Punk-Rock-Symbiose, die den großen Namen in nichts nachsteht - und das ist erst der Anfang.
Wertung
Hamburger Freiheitsgefühle in elf verträumte Indie-Punk-Hymnen gepresst. Keele überzeugen nicht mit Innovation oder Überraschung, sondern mit Attitüde und Bodenständigkeit - und das passt!
Miriam Rhein
Miriam studiert Germanistik & Informationswissenschaft, lebt in NRW und ist ein Internetkind durch und durch. Deswegen bloggt sie auch noch auf www.zweidrittelkrach.de.
Mit den Wurzeln im Punk Rock und der Faszination im Heavy Metal hört sie alles, was leise nicht zu ertragen ist und laut nie wieder aus dem Kopf geht.