Kora Winter: "Unsere neue EP leitet eine Ära der Abrechnung ein!"
04.05.2017 | Jakob Uhlig
AdW: Eure erste EP trägt den Namen „Blüht“, nun seid ihr bei „Welk“ angekommen. Was ist bei dir in den vergangenen zwei Jahren verwelkt?
Hakan: Es ist ein wenig paradox, dass wir die neue Platte „Welk“ genannt haben, da sie rein konzeptionell eigentlich das aufblühende der beiden Werke ist. Allerdings ist sie auch der Abschluss eines textlichen Zyklus‘. „Blüht“ wurde vor allem von Verzweiflung und Angst dominiert, „Welk“ schließt damit ab und leitet eine Ära der Abrechnung ein. In diesen zwei Jahren sind mir einige Dinge passiert, bei denen ich gemerkt habe, dass ich mich ihnen widersetzen muss. Ansonsten werde ich immer nur Sklave meiner eigenen Ängste sein.
AdW: War dir denn schon während dem Schreiben von „Blüht“ bewusst, dass die Geschichte eines Tages darauf hinauslaufen würde?
Hakan: Eigentlich gar nicht. „Welk“ zu schreiben war auch in gewisser Weise eine Form von Selbsttherapie. Erstmal fängst du an zu schreiben und weißt gar nicht, woher die ganzen Textbausteine eigentlich kommen. Dann bist du fertig und schaust dir die drei Texte an, und denkst nur noch: „Alter, mit dir stimmt was nicht!“
AdW: In euren Texten finden sich auch immer wieder wiederkehrende Elemente. Eure zweite EP beginnt textlich dort, wo die erste endet. Sehr prominent behandelt ihr außerdem die Zeile „Auf ewig Winter“. Was bedeuten diese Worte für dich?
Hakan: Grundsätzlich sind die wiederkehrenden Motive vor allem eine Rückbesinnung, worauf es einem ankommt. Und dabei weiß ich gar nicht genau, worauf es mir eigentlich ankommt. Es gibt bestimmte Satzteile, die einfach am besten beschreiben, wie eine aktuelle Lage ist. Und wenn ich in einem Song das Gefühl habe, eine solche Lage beschreiben zu müssen, kehren diese Bausteine halt wieder. Mit den Worten „Auf ewig Winter“ haben wir im Song „A.E.W.“ angefangen. Sie stellen die Illusion dar, dass alles ewig ist. Wir wiederholen diese Vorstellung so oft, dass wir sie irgendwann zu unserer Realität machen. Im Prinzip baut man sich damit aber nur seinen eigenen Kosmos auf, und verschönert diesen dann für sich selbst.
AdW: Für mich fühlt es sich an, als würde speziell diese Zeile innerhalb der zwei Platten eine unterschiedliche Bedeutung haben. In „A.E.W.“ wirken die Worte als dramatischer Feind des sinnbildlichen Gartens, der niemals erblühen kann. In „Stiche“ wird nun der Wunsch geäußert, dass niemals Sommer werden soll. Stellt das auch deine Entwicklung innerhalb der zwei EPs dar?
Hakan: Definitiv, da sprichst du eine sehr wichtige Sache an. Einer solchen Kontextverschiebung liegt oft ein neues Gefühl zugrunde. Dadurch eröffnen sich ganz neue Kosmen. Und ich würde auch sagen, dass dieses Beispiel die Entwicklung tatsächlich sehr gut beschreibt. „A.E.W.“ war ein sehr leidender Song, während „Stiche“ sich am Ende ganz klar positioniert und sich das Böse zu eigen macht.
AdW: Nun haben wir schon viel von Texten gesprochen. Wie wichtig sind diese aber tatsächlich in der Gesamtheit eurer Songs? Kommen für euch eher die Aussagen oder die Musik an erster Stelle?
Hakan: Man könnte beim Hören der Songs vielleicht fälschlicherweise annehmen, dass die Texte als erstes stehen. Dabei ist es genau andersherum. Ich glaube auch, dass der Songwriting-Prozess für jedes Bandmitglied ein anderes Gefühl darstellt, da jeder eine andere Rolle übernimmt. Es gibt da einerseits die Fraktion, die für Riffs, Melodien und alles Klangliche zuständig ist. Und dann gibt es da noch den Teil der Band, zu dem ich auch mich zählen würde, der eher auf Arrangements fokussiert ist, und sich Gedanken über das Schreiben der Songs macht. Und da überlege ich dann auch klar: „Wie müsste diese Stelle klingen, was für ein Text müsste darüber?“ Zunächst arbeiten wir also nur aus dem Gefühl heraus. Erst, wenn das Instrumental fertig ist, setze ich mich an die Lyrics, und gehe auch dabei erst einmal sehr fragmentiert vor. Manchmal dauert es so sehr lange, bis sich tatsächlich ein Text zusammenfindet.
AdW: Songwriting ist bei euch also definitiv ein gemeinschaftlicher Prozess.
Hakan: Auf jeden Fall. Das macht zwar alles aufwändiger, in unserer jetzigen Konstellation könnte ein alleiniger Songwriter aber auch gar nicht funktionieren. Dass jeder das gleiche Mitbestimmungsrecht hat, hat sich dafür einfach zu lange eingespielt.
AdW: Dann frage ich einfach mal geradeheraus: Wie seid ihr auf den Gedanken gekommen, ein Jazz-Saxophon könnte sich gut inmitten von Hardcore-Riffs einfügen?
Hakan: Den Anspruch, etwas Außergewöhnliches zu machen, hatten wir eigentlich schon immer. Mit dem Saxophon haben wir den das erste Mal richtig ausprobiert. In unserem Proberaum arbeitet auch ein sehr talentierter Saxophonist, Paul Griesbach. Während den Aufnahmen hatten wir irgendwann diesen instrumentalen Part in „Bluten“, der aber noch zu sehr zu schweben schien. Wir brauchten irgendein markantes Instrument, um den Part zu erden, und da ist uns Paul eingefallen. Als wir ihn gefragt haben, hat er sofort zugesagt. Er hat bestimmt zehn oder fünfzehn Soli aufgenommen, und jedes davon war gut. Es war dann echt schwer, herauszufinden, welches wir haben wollen.
AdW: Dieser sehr experimentelle Ansatz kommt vermutlich nicht von ungefähr. Wo kommt ihr musikalisch her?
Hakan: Viele von uns sind natürlich grundlegend im Metal verankert, allerdings muss man diesen Anker zu verschiedenen Zeitpunkten setzen. Die eine Seite kommt zum Beispiel mehr aus der Nu-Metal-Generation um Slipknot und Linkin Park, andere haben ihren Ursprung in den 90‘-ern mit Bands wie Tool, Soundgarden oder Meshuggah. Und dann gibt es da noch mich, der zwar einerseits eindeutig im Metal zu Hause ist, anderseits aber auch eine Kindheit hatte, in der ich fast ausschließlich deutschen Rap gehört habe. Hip-Hop trage ich bis heute in mir. Es kommt aus so wahnsinnig vielen Ecken so viel zusammen, was auch erklärt, warum es für uns schwierig ist, einen Hauptsongwriter zu haben. Wir können uns da einfach kaum auf einen Kompromiss einigen.
AdW: Und aus den ganzen Ecken kam dann offenbar auch noch der Schlager hinzu. Auf „Welk“ befindet sich ein Cover der Sängerin Alexandra, die aus diesem Bereich stammt. Wieso empfandet ihr das Lied „Es war einmal ein Fischer“ als passend für dieses Projekt?
Hakan: Die Lisa, die das Stück singt, hatte den Song schon damals a capella aufgeführt, als ich ihn zum ersten Mal von ihr gehört hatte. Ich kannte weder das Lied noch die Künstlerin. Ich habe das Ganze aber sofort heimlich mit meinem Handy aufgenommen und zur Bandprobe gebracht. Alle waren davon total geflasht. Obwohl es Schlager ist, ist das Lied einfach so unglaublich düster. Das hast du selten in deutscher Sprache. Wir alle waren uns dann sofort sicher, dass wir das Stück als a capella-Skit auf unserer CD haben wollen. Es hat zwar textlich eher wenig mit unserem Kosmos zu tun, dennoch hat es diese bittere Dunkelheit und das knochenerschütternde Ende. Wir sind dann mit Lisa in eine riesige Lagerhalle gefahren und haben das Stück aufgenommen. Auf der Aufnahme ist übrigens kein falscher Delay – jeder Hall ist echt.
AdW: Nun habt ihr also zwei zusammenhängende EPs aufgenommen. Wird die Geschichte denn noch fortgesetzt werden?
Hakan: Nein, der Zyklus ist an dieser Stelle erst einmal beendet. Alles ist auf null gesetzt, und von dort aus fange ich an, mich durch alles zu kämpfen, was mich jemals beschäftigt hat. Dabei sind vielleicht auch einige Dinge, vor denen ich mich bisher gedrückt habe. Es wird also kein großer dritter Teil kommen, man kann „Blüht“ und „Welk“ aber vielleicht als eine Art Prequel vor dem Hauptfilm betrachten. Rückbezüge wird es definitiv geben, dennoch wird sich alles eher wie ein frisches, neues Kapitel anfühlen.
AdW: Das klingt, als wärst du in Gedanken bereits bei eurem Debütalbum.
Hakan: „In Gedanken“ ist gut – das Ding ist schon so gut wie fertig. Wir haben wahnsinng lange an „Welk“ gearbeitet und dabei parallel schon das Album geschrieben. Der Prozess der EP war so langwierig und mit so vielen Rückschlägen verbunden, dass wir letztendlich in unserer Arbeitsweise einfach viel schneller wurden. Wir mussten uns natürlich trotzdem Zeit nehmen, die Songs alle gemeinsam zu schreiben. Dennoch gehen viele Denkprozesse jetzt schneller von Statten, und wir können unsere Visionen besser umsetzen.
AdW: Wäre es für dich dann gar nicht denkbar gewesen, die Songs von „Welk“ direkt auf das Album zu packen?
Hakan: Nein, auf keinen Fall. „Blüht“ musste auf jedem Fall mit einem bestimmten Gefühl beendet werden. Nach „Welk“ stehen wir nun wieder vor einem Ground Zero.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.