Die besten Platten 2017: Die Top 5 von Jakob
24.12.2017 | Jakob Uhlig
Platz 5: Van Holzen – „Anomalie“
Van Holzen sind der Beweis dafür, dass junge Bands nicht nur gemessen an ihrer Jugendlichkeit bereits großartige Musik produzieren können. Das Trio aus Ulm hat nämlich nicht nur ein Debütalbum fertiggebracht, das besser ist als der durchschnittliche Output seiner Altersklasse, sondern sogar wesentlich besser ist als der Großteil aller modernen Rock-Erzeugnisse. Die Bezeichnung als „deutsche Antwort auf Royal Blood“ wird der Gruppe dabei absolut nicht gerecht, denn Van Holzen sind viel mehr als das. „Anomalie“ nutzt seine wummernden Alternative-Riffs für eine verquere Katharsis, die die Atmosphäre des Albums wesentlich ungreifbarer und verletzlicher macht. Deswegen macht diese Platte auch zwei Schritte mehr und trägt seine Grundgedanken auf eine völlig andere Ebene als das zweite Album des britischen Sensations-Duos, das ebenfalls in diesem Jahr erschien.
Platz 4: Metz – „Strange Peace“
Metz stehen seit ihrem fantastischen Debüt für den Inbegriff einer neuen Noise-Generation, die die einst von Sonic Youth definierten Register auf Anschlag zieht. Trotzdem bewegten die Kanadier ihren eigenen Klangkosmos selten außerhalb ihrer Komfortzone. „Strange Peace“ lockert dieses selbstgeschaffene Geflecht zum ersten Mal ein wenig auf, was der Band verdammt guttut. Und so reihen sich neben Metz-typischen Dröhn-Terror-Songs wie „Mess Of Wires“ oder „Drained Lake“ auch erstmals Tracks wie „Caterpillar“ ein, die ihre akustischen Daumenschrauben mit quälender Langsamkeit andrehen. Synthesizer-Wände wie in „Lost In The Blank City“ sorgen zudem für einige der kraftvollsten Gewalttaten, die Metz jemals hervorgebracht haben. Und das spricht Bände bei einer Band, deren Soundkonzept seit jeher auf der Zerstörung sämtlicher Ästhetik-Konventionen basiert.
Platz 3: Bent Knee – „Land Animal“
Gerade wenn man glaubt, Bent Knees ausgefuchstes Songwriting verstanden zu haben, wirft sich der nächste Hakenschlag in die Quere. Damit sind nicht nur die immer wiederkehrenden krummen Taktspielereien gemeint, denn die Bostoner sind vor allem Meister der abrupten Stimmungswechsel und orchestralen Aufbauten, die trotz aller technischen Machtdemonstrationen einige der atmosphärisch erfüllendsten Tracks des Jahres hervorbrachten. „Land Animal“ ist der perfekte Spagat zwischen kompositorischer Raffinesse und echten Gefühlen, zwischen Genie und Ausdruck, zwischen Konzeption und Intuition. In die Karten spielt der Band dabei nicht nur die spielerische Versiertheit sämtlicher beteiligter Akteure, sondern auch ihr unverkennbarer Stil, der sich irgendwo zwischen Art-Rock, Jazz und Progressive bewegt. Bent Knee gelingt mit ihrer vierten Platte die ehrliche Nerd-Offenbarung, die Steven Wilson im Jahre 2017 verloren gegangen ist.
Platz 2: Kora Winter – „Welk“
Die wohl beste EP des Jahres kommt in diesem Jahr mitten aus Berlin – und kaum einer hat es mitbekommen. Kora Winter können auf nur drei Jahre Bandgeschichte zurückblicken, spielen ihre Shows in viel zu kleinen Underground-Schuppen und haben mit „Welk“ dennoch einen Meilenstein veröffentlicht, der viel zu sehr an der öffentlichen Rezeption vorbeigegangen ist. Dabei gibt es eigentlich so viele Argumente, die für dieses Ausnahmewerk sprechen. Sei es die schreiberisch perfekt konzipierte Achterbahnfahrt, die die Songs der Platte so makellos vollführen, und die trotzdem gerade durch ihre Rohheit so markerschütternd ist. Sei es der ungeheuerliche A-Capella-Skit „∞“, der zwecks seiner knieerweichenden Hall-Effekte in einer verlassenen Lagerhalle aufgenommen wurde. Sei es der textlich zwischen blanker Aggression und poetischer Resignation taumelnde Lyrik-Kosmos von Kora Winter, der nicht nur innerhalb des Werks mit beeindruckender Kontinuität fesselt, sondern sogar mit vielen Bezügen zur Vorgänger-EP ein komplexes Themen-Netz webt. Oder sei es die Tatsache, dass das Quintett aus all diesen Elementen ein an der Perfektion kratzendes Werk zwischen Math- und Post-Hardcore kreiert hat, das wohlmöglich erst der Startschuss für eine der maßgebendsten Bands der kommenden Generation sein könnte. Und eines ist außerdem klar: Hätte ein gewisses Aachener Post-Hardcore-Trio sich in diesem Jahre nicht erneut in eine völlig eigene Liga geschossen, hätte „Welk“ auf Platz 1 dieser Liste gestanden – und zwar mit großem Abstand.
Platz 1: Fjørt – „Couleur“
Wie gelingt es dieser unfassbaren Band nur, jedes Mal aufs Neue eine Platte zu erschaffen, die nicht nur innerhalb ihrer eigenen Diskographie neue Superlative definiert, sondern auch Maßstäbe eines ganzen Genres setzt? Seit Fjørts Debütalbum „D’accord“ aus dem Jahr 2014 ist der Post-Hardcore in seinen Grundfesten erschüttert, denn die Aachener nutzen sämtliche bereits vorhandene Exzellenz dieses Genres zu ihrem Vorteil, und vollbringen das Kunststück, dieser zerbrechlichen Musik mit fast schon shoegazig zarten Sound-Sphären eine ganz andere Dimension von Kraft zu verpassen. „Couleur“ lässt sich von diesen gewaltigen Vorschusslorbeeren nicht entmutigen und bringt es fertig, den Sound der Band noch um ein Vielfaches wachsen zu lassen. Songs wie „Bastion“ oder „Karat“ zeigen, zu welchen Großtaten Fjørt mittlerweile fähig sind. Noch krasser die Kontraste zwischen Brutalität und Sanftheit, noch ausformulierter sind sämtliche Ideale dieser Band. Das sieht man zum Beispiel im Vokalstil von Chris Hell und David Frings, der immer klarer und zielgerichteter zwischen gutturalen Schreien und erbittertem Sprechgesang pendelt. Wieder etwas widerspenstiger gibt sich hingegen das Songwriting der Band, das aber trotzdem nie etwas von seiner Leichtigkeit verliert und so die ideale Plattform für zauberhafte lyrische Dichtungen gibt. Wer geglaubt hat, dass Fjørt mit „Kontakt“ bereits ihren schöpferischen Höhepunkt erreicht hätten, den belehrt „Couleur“ eines Besseren: Die Band ist gerade erst mit ihrer Findungsphase fertig.
Weitere Platten, die in diesem Jahr nicht unvergessen bleiben sollten:
The Hirsch Effekt – „Eskapist“
Alt-J – „Relaxer“
Vant – „Dumb Blood“
Leoniden – „Leoniden“
8kids – „Denen die wir waren“
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.