Die besten Platten 2017: Die Top 5 von Julius
27.12.2017 | Julius Krämer
Platz 5: Tigers Jaw – „spin“
Starten wir aber mit einer Band, die gerade wenig gewagt hat, um umso mehr zu gewinnen. Die mittlerweile auf ein Kern-Duo geschrumpften Pop-Punks haben mit „spin“ ein so eingängiges wie beeindruckendes Indierock-Album geschaffen, das man nicht nach dem ersten Eindruck beurteilen sollte. Denn die simplen Song-Strukturen und einfachen Arrangements täuschen schnell über die großartigen Songs an sich hinweg. Mit wunderbar poppigem Charme und intensivem, repetitiven Aufbau beschäftigt sich „Escape Plan“ mit Selbstzweifeln, während das zweite Highlight „Guardian“ kurzweiliger zwischenmenschliche Absagen verarbeitet. „spin“ ist Balsam für jede Seele und ein Album wie eine warme Dusche: Auf den ersten Blick nichts Besonderes, aber immer wieder gut.
Platz 4: Pallbearer – „Heartless“
Pallbearer haben es im zurückliegenden Jahr geschafft, mir die weiche Seite von Metal zu zeigen. Denn mit überlangen Instrumental-Parts, Soli, die ganze Romane erzählen und herzzerreißendem Gesang ist „Heartless“ nicht nur ein gelungener Brückenschlag zwischen Doom-Metal und Prog-Rock, sondern Melancholie in Reinkultur. Auf den Punkt bringt es „Lie Of Survival“, das mit seinen einschmeichelnden Gitarrenmelodien einerseits und mit wunderbar langgezogenen Downstroke-Parts andererseits wie ein Stich ins Herz wirkt – allerdings in die genau richtige Stelle.
Platz 3: Bilderbuch – „Magic Life“
Die Österrreicher bleiben in ihrer Innovationsleistung ungeschlagen und haben zwar kein zweites „Schick Schock“ gemacht (was vielleicht auch ganz gut ist), sondern sind den schweren Weg eines Albums mit konzeptueller Komponente gegangen. „Magic Life“ ist nicht nur die Vereinigung von Cloud Rap und Kanye West mit Blues-Tradition, Klangkunst und Pop-Appeal, sondern vereint sowohl die Grundzüge der modernen Konsumgesellschaft als auch die Kritik an derselben grandios in nach Belanglosigkeit klingenden Songs. Nicht nur im Überhit „Bungalow“ zeigen Bilderbuch erneut, dass eine Gitarre und ein Synthesizer keine Gegensätze darstellen müssen, wie großartig deplatziert man ein Solo in einen Song packen kann und wie Autotune auch auf Deutsch sexy klingen kann.
Platz 2: Fjørt – „Couleur"
Die deutsche Post-Hardcore-Avantgarde aus Aachen präsentieren sich auf der Höhe der Zeit und legt mit „Couleur“ ihr bisheriges Opus Magnum vor. Vielschichtige Texte, die auf mehreren Metabenen funktionieren, treffen auf den leidenschaftlichen Gesang Chris Hells und mitreißende, atmosphärische Arrangements. Fjørt machen Musik sowohl für den Moshpit als auch das innere Gefühlschaos und ferner sogar aktuelle weltpolitische Zustände. Das muss man erstmal schaffen.
Platz 1: Casper – „Lang lebe der Tod“
Schon der alles überragende Titeltrack ließ über ein Jahr vor Veröffentlichung ahnen, worauf dieses Album hinaus will: Unzählige, unüberhörbare Referenzen zu Kanye Wests „Yeezus“ bis hin zu gitarrenlastigen Post-Rock-Parts und Punk-Geschrammel. Casper präsentiert sich einmal mehr als Musiknerd und Vermittler verschiedenster Genres. Dunkle, vielschichtige Texte und großartige Instrumentals von aberwitziger Diversität schaffen ein unfassbares Album von einem der spannendsten Künstler des Landes, das mit einigem bricht und noch mehr vereint. Der oft dominierende Grime/Dubstep klingt stark, ist aber leider nicht mehr am Puls der Zeit – wäre "Lang lebe der Tod" ein paar Jahre früher herausgekommen, hätte es einen Platz in den wichtigsten deutschsprachigen Alben aller Zeiten inne. So ist es trotzdem nichts weniger als der Beweis dafür, dass nach Jahren der qualitativen oder faktischen Abwesenheit deutschsprachige Musik auch international wieder konkurrenzfähig ist.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.