Konzertbericht: Touché Amoré und Deafheaven in Hamburg
02.10.2019 | Jakob Uhlig
Was nicht bedeutet, dass es dem heutigen Abend in der Markthalle an purer Leidenschaft mangelt. Dafür sind die Songs der auftretenden Akteure viel zu unmittelbar und heftig, ihre Wirkungen zu erschütternd. Das gilt auch für Portrayal Of Guilt, die heute den Supportslot ausfüllen dürfen und es tatsächlich fertigbringen, eine Melange aus der ungleichen Doppelspitze des Konzerts auf die Bühne zu bringen. Die Songs der lediglich als Trio besetzten Band erlangen geradezu martialische Klanggewalt, die heiseren Black-Metal-Vocals des Frontsängers versinken unter dem schieren Überfluss der dunkel gefärbten Instrumentierung. Erbarmungslose Synth-Drums geben dem wüsten Geschwader den nötigen Biss. Entgegen ihres erbarmungslosen Klangs verhalten sich Portrayal Of Guilt maximal introvertiert und auch das Publikum nimmt eher auf, als aus sich rauszukommen. Dabei jagt die Band mitunter in für ihre Ästhetik völlig unübliche Hardcore-Ausbrecher, die aus der schwarzen Klangwolke auf der Bühne etwas auszubrechen vermögen. Das ist absurd, aber irgendwie auch genial.
Natürlich sind Fans von Deafheaven den Grundansatz von anti-puristischem Black Metal gewohnt. Entsprechend problemlos funktioniert der Übergang ins Set des Quintetts, das nach gerade einmal einer Viertelstunde Umbaupause losbricht. Als Sänger George Clarke die Bühne betritt, sehen seine Haare so aus, als hätte er sie entweder kurz vor seinem Auftritt in die Badewanne getaucht oder als hätte er bereits während des Support Acts eine halbe Stunde Headbangen geübt. Zusammen mit einem stets starr-manischen Blick ergibt das ein Gesamtbild des Wahnsinns und man spürt gänzlich ohne Barriere, wie Clarke seine Dämonen in Musik kanalisieren will. Das wird so glaubwürdig, weil die Musik von Deafheaven eben kein endloses Pathos-Gewitter in monotoner Epicness und undefinierbaren Soundmonstern ist, sondern sich zwischendurch auch immer wieder verletzlich gibt. Die Band stürzt in sanfte Instrumentalparts oder wagt mittendrin eine geradezu frohgestimmte Blues-Einlage, was beeindruckend organisch klingt. Ein Heer aus grandioser Musik, das zum Finale schließlich noch einmal in vergleichsweise schnörkelloses Getose mündet. Man soll ja auch nochmal moshen dürfen.
Letzteres ist bei Touché Amoré natürlich kein kurzzeitiges Zugeständnis, sondern der äußerst bildgewaltige Ausdruck eines nicht mehr enden wollenden Gefühlsausbruchs. Es ist immer wieder beeindruckend, wie es diese Band bei jedem Auftritt fertig bringt, von einer auf die andere Sekunde hemmungslose Emotionen im gesamten Publikum zu erwecken – einfach nur, weil Touché Amoré von ihren Fans nur tiefste Verehrung erfahren. Das funktioniert heute sogar mit dem ungewöhnlichen Opener „And Now It's Happening In Mine“, denn das Quintett feiert auf dieser Tour das Jubiläum ihres Debütalbums „…To The Beat Of A Dead Horse“ und spielt besagtes Album zu Beginn seines Sets von vorne bis hinten durch. Schlussendlich kommen aber natürlich auch die anderen Platten zum Zuge. Besondere Setlist-Highlights sind das grandiose „Is Survived By“, das Fans in Deutschland schon lange nicht mehr hören durften, und das finale „Skyscraper“, dem ohne Julien Baker allerdings ein wenig die Macht fehlt. Vom Rest des Auftritts kann man das nicht behaupten. Obwohl die Markthalle für eine Band von Touché Amorés Hardcore-Kaliber wirklich eine beeindruckende Größe hat, könnte die Stimmung kaum eskalativer sein. Das liegt auch daran, dass der Club heute ausnahmsweise ohne Wellenbrecher auskommt und entsprechend eine große Masse an Stagedivern einlädt. Frontmann Jeremy Bolm erledigt seinen Job mit Bravour, vor allem, weil er sein Mikrofon ständig mit den Menschen in der ersten Reihe teilt. Immer wieder bedankt Bolm sich nachträglich und glaubwürdig bei all den Menschen, die auch drei Jahre nach „Stage Four“ noch immer kontinuierlich zu Touché-Amoré-Konzerten kommen. Aber wen wundert es? Und bei der nächsten Tour wird die neue Platte mit Sicherheit auch da sein – das verspricht Bolm zumindest.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.