Musikalischer Widerstand
13.11.2020 | Jan-Severin Irsch
Durch verschärfte Auflagen - wie zum Beispiel Auftrittslizenzen, die nur ausgegeben wurden, wenn ein Gremium des Kulturzentrums die Lieder und Kunstwerke absegnete, wurde versucht, systematisch der Kunst und Kultur Herr zu werden und nur im Sinne der SED Mentalität zu veröffentlichen.
Paradoxerweise versuchte sich die DDR weltoffen zu zeigen, oder zumindest wollte sie diesen Anschein erwecken. Bands und Künstler aus den westlichen Ländern wurden eingeladen im Osten zu spielen, doch auch hier griff die Zensur. Als kein geringerer als Bruce Springsteen sein Konzert 1988 in Ostberlin spielte, änderte er in seiner kleinen Ansprache das Wort “Mauer” zum Wort “Barriere”. Der Amerikaner sagte “Ich bin gekommen, um Rock'n Roll zu spielen, in der Hoffnung, dass eines Tages alle Barrieren umgerissen werden” und mehrere tausend Konzertgäste jubelten. Ein Ausschlaggebendes Konzert für die Mitglieder der Band Sandow, die daraufhin einen Song mit ähnlichem Titel “Born in the GDR” schrieben (GDR = German Democratic Republic). Zwar nicht annähernd so gut in Wiedererkennungswert und Komposition, und dennoch zeitrelevant. Die Cottbuser Band um Frontmann Kohlschmidt sangen: “Wir können bis an unsere Grenzen geh'n. "Hast du schon mal drüber hinweg geseh'n? Ich habe 160.000 Menschen geseh'n. Die sangen so schön”. Die stattliche Zahl bezieht sich auf die Besucher*innen des besagten Springsteen Konzerts, die erste Zeile des Refraintextes ist wörtlich zu verstehen. Es ging schließlich nur, in gewisser Weise, bis an die Grenze, an die Mauer. Danach war Schluss, wobei doch alle wussten, was dahinter lag (“hast du schon mal drüber hinweg geseh'n?”).
Neben Sandow schrieb auch die sächsische Band Stern-Combo Meissen wahre Kunstwerke in der DDR. Ihr Song “Die Sage” ist ein achtminütiges Wunderwerk an kompositioneller Höchstleistung. Von großartigen Spannungskurven, den Einsatz vieler verschiedener Instrumente, zum Beispiel ein hektisch klingender Sythesizer, Marschtrommeln und eines Chores, zeigen, dass man sich damals noch Zeit für die Musik genommen hat. Darüber hinaus lässt der Text viel Raum für Interpretation. Man könnte in folgende erste Strophe einiges reininterpretieren:
“Was von mancher alten Burg an Resten übrig blieb in der einst ein Ritter hauste und sein Unwesen trieb. Was an Grausamkeit geschah, kein Mauerstein verrät.
Was in dieser Zeit geschah, nur in der Sage steht.
So wird erzählt, erzählt von einem Tyrann,
Wie er alles gequält, sich neue Pein ersann'.
In jeder Nacht ein andres Opfer er fand.
Und seiner Macht kein Wesen widerstand."
Betrachtet man die Zeilen aus Sicht der Hörerschaft ist der “Mauerstein” wohl das offensichtlichste, doch lässt der Text auch Raum für die Verhörmethoden der Stasi und das dicht gewebte Netz des Überwachungsstaates. Die Vergangenheitsform kann den Hoffnungsschimmer des Mauerfalls suggerieren (Der Song wurde 1979 veröffentlicht), der Tyrann kann mit Erich Honecker gleichgesetzt werden. Er war es auch, der sich für die Zensur und die Maßregelung der Kunst stark machte.
Dies bekam auch Wolf Biermann zu spüren, einer der wohl berühmtesten Dichter, Musiker und Kritiker der DDR. Der Liedermacher, der als junger Mann aus Hamburg in den deutschen Osten zog, wurde mehr und mehr zu einem Dorn im Auge der DDR-Führung. Durfte er Anfang der 60er-Jahre noch in einer einigermaßen gemäßigten Kulturpolitik auftreten, wurden die ersten größeren Riegel Mitte der 60er vorgeschoben. Erich Honecker, damals noch nicht an der Spitze der DDR Führung, jedoch sehr hoch in den Rängen, kritisierte Biermanns Kunst scharf und warb für ein generelles Entgegentreten zu eben jener Kunst, die in das Weltbild des Überwachungsstaates nicht hinein passte.
1973 jedoch veröffentlichte Biermann ein Album mit dem Titel “aah-ja!” bei dem bereits das Albumcover Raum für interpretierbare Kritik an der DDR lässt. Auf der einen Seite sieht man als Karikaturen die großen Köpfe des Kommunismus, auf der anderen ein Foto von Biermann selbst, dass ihn beim glücklichen Musizieren mit der Gitarre zeigt. Es scheint, als würden die kommunistischen Köpfe im Seitenportrait ihm einen spöttischen urteilenden Blick zuwerfen, während er fröhlich lachend singt und spielt. Verstärkt wird dies durch den Albumtitel, der in roten Lettern in die Karikatur eingebettet ist. Auf diesem Album findet sich ein Lied mit dem Titel “Die Stasi-Ballade”. Subtile Kritik ist anders. Biermann ging in die Offensive und brachte vermutlich die richtigen Leute zumindest zum schmunzeln, die sich dachten “Der Mann hat recht” nachdem sie seine Musik gehört hatten. Die erste Strophe ist zwar vergleichsweise harmloser als andere, dennoch kommt man bereits zu Anfang ins Grübeln und Lachen, da Biermann sein “Mitgefühl” in großartig ironischer Weise für die Männer der Stasi und deren undankbare Arbeit ausdrückt:
“Menschlich fühl' ich mich verbunden mit den armen Stasi-Hunden. Die bei Schnee und Regengüssen mühsam auf mich achten müssen. Die ein Mikrophon einbauten
Um zu hören all die lauten Lieder, Witze, leisen Flüche, auf dem Klo und in der Küche. Brüder von der Sicherheit, Ihr allein kennt all mein Leid.”
Eine Kunst an und für sich, pointiert und präzise Humor mit Fakten zu verbinden und so die schönste Form der Kritik und des Widerstands zu kreieren. In der vorletzten Strophe jedoch kommt die Kritik und Abneigung deutlicher denn je zum Vorschein. Biermann singt:
“Ach, bedenkt, ich sitz' hier fest
Darf nach Ost, nicht, nicht nach West
Darf nicht singen, darf nicht schreien
Darf nicht, was ich bin, auch sein
Holtet ihr mich also doch
Eines schwarzen Tags ins Loch
Ach, für mich wär' das doch fast[...]
Nichts als ein verschärfter Knast”
Nachdem Biermann durch solche und ähnliche Lieder für genug Furore in der politischen Spitze gesorgt hatte, beschloss man, sich des Liedermachers zu entledigen. Biermann durfte in den Westen ausreisen und gab im schönen Köln ein Großkonzert in der ausverkauften Sporthalle vor sechseinhalbtausend Gästen. Allerdings hatte die SED während seiner Abwesenheit den Musiker bereits ausgebürgert und ihm so die Wiedereinreise verweigert. Dies hatte einen Protestbrief vieler DDR Künstler*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen an die führenden Kräfte und eine darauffolgende Ausreisewelle einiger jener Unterzeichner*innen zu Folge.
Kritik und Protestsongs waren in der DDR nicht allzu einfach zu verwirklichen, doch es gab sie. Zum Glück. Da für viele die Ausbürgerung Biermanns und die damit verbundene Ausreisewelle vieler Kunstschaffender als Startpunkt des Falls des SED-Regimes verstanden wird, wird auch umso mehr deutlich, wie wichtig Kunst und Kunstfreiheit sind und wie wichtig es ist, bestimmte politische Themen kritisch zu hinterfragen. In diesem Fall war Musik die Lösung. Protestsongs können also doch etwas bewirken.
Jan-Severin Irsch
Jan-Severin macht seit er denken kann Musik. Durch verschiedene Chöre, Bands und Lehrer ist er mittlerweile Lehramtsstudent für Musik mit Hauptfach Gesang, ist Sänger seiner eigenen Alternative/Punkrock-Band und Teil eines Barbershop-Chores in Köln. Von Klassik bis Jazz, von Chor- bis Punkrockmusik hört und spielt er alles gern. Ohne Musik geht nicht.