Fatoni & Edgar Wasser und „Delirium“: Es nervt
04.05.2021 | Felix ten Thoren
Einige Lines der ersten Fatoni-Edgar-Kollaboration sind nicht gut gealtert: „Es sind schlechte Zeiten und ich schnall den Sprengstoffgürtel“ - Haha, lustig. Zumindest für 2013, damals, als die Welt noch rund, Trump noch ein Trash-TV-Star und Corona eine Biermarke war. Nun, knapp acht Jahre später wissen wir, wie sich wirklich schlechte Zeiten anfühlen. Und niemand hat mehr Bock auf den Sprengstoffvergleich, da es tatsächlich jederzeit sein kann, dass ein blau-weiß-rot geschminkter Ochse mit so einem Ding ins Kapitol marschiert, oder eben in die nächste Synagoge. Schlechte Zeiten sind, wenn jede Zuspitzung bereits dreimal von der Realität überrundet wurde.
„Wie soll ich diese lächerliche Welt denn noch ins Lächerliche ziehen?“ (Fatoni - „Realität“)
Es ist eine Sinnkrise, die sich da abzeichnet. Und eine Kreativitätskrise. Nicht mal die obligatorischen Representer-Tracks auf „Delirium“ könnten noch den Eindruck vermitteln, vollends von sich selbst überzeugt zu sein: „Ich mach ein Album / Angela Merkel gefällt das / An sich doper Rapper aus der weißen Mehrheitsgesellschaft / *Würg*" (Fatoni - "Ratatatatatatatatat“). Da hilft nicht mal mehr der Erfolg, der sich über die letzten Jahre eingestellt hat, die Klassikeralben, die ausverkauften Tourneen. „Der Beste“ zu sein? Gar nicht mal so geil.
Der latente Selbsthass ist auf „Delirium“ ebenso allgegenwärtig wie das Selbstreferenzielle. Beides nervt zu Tode, eben weil es so gut nachzufühlen ist. Hass auf andere gibt es natürlich auch, nur lässt sich dieser eben nicht so gut ausleben. Nazis aus dem Parlament zu prügeln ist schließlich nicht von der Kunstfreiheit gedeckt und die kraftvollsten Kraftausdrücke nicht von der politischen Korrektheit. 2013 war das wahrscheinlich noch anders, da konnte man noch unbefangen Lines wie „Hurensohn, Hurensohn, Hurensohn“ rappen, wie eben Fatoni auf „Nocebo“. Mit „Freierssohn“ stottert und haspelt er sich nun von Schimpfwort zu Relativierung zu Schimpfwort, und zwar auf so ungewohnte und wunderbare Weise, man fühlt sich glatt an den ominösen Täubling erinnert. Noch besser entfalten sich die Gewaltfantasien von Edgar Wasser, der allerlei Zärtlichkeiten an AfD-Abgeordnete verteilen möchte:
„Ich poliere Björn Höcke die Fresse… entfern‘ mit Zahnseide sehr hartnäckige Essensreste“ (Edgar Wasser - „Freierssohn“)
Musikalisch ist das alles sehr solide untermauert, wie von Torky, Dexter und den weiteren Produzent:innen auch nicht anders zu erwarten war. Eine wirkliche Frische bringt hingegen Fatonis neu entdecktes Spiel mit seiner Stimme. In „Newcomer des Jahres“ – der im Übrigen auch eine famos rollende Hook bereithält – klingt er dabei geradezu nach dem Hamburger JACE, auf „So High“ und „Homie du Weißt“ lässt er sich derweil in tiefe Register durchsacken. „Das Leben ist dumm“ ist schließlich die Gesangsnummer des Albums, deren Qualität stark von dem Zustand abhängt, in dem man sie hört. Auf nüchternen Magen wirkt der späte Uptempo-Praise-Break mit seinen Bläsern und überlagerten Gesangsspuren doch sehr käsig, gleichzeitig bietet die ironiefreie Ehrlichkeit des Songs auch eine wohlverdiente Pause von Selbsthass und Verwirrung.
Es lässt sich nicht anders sagen: „Delirium“ ist ein bedrückendes Album. Die beißende Ironie und Übertreibung taugt als Unterhaltung längst nicht mehr so gut wie noch auf „Nocebo“ und für Prinz-Pi-Disses ist eh zu spät, wir haben andere Probleme. „Delirium“ ist kein Album, um „37 Minuten den Verstand zu verlieren", wie es der Pressetext verspricht. Schön wär’s. Stattdessen spielt die Platte sehr deutlich im Hier und Jetzt und das Hier und Jetzt ist nun mal scheiße. Das Hier und Jetzt ist eine zweite Staffel „LOL - Last One Laughing“ im dritten Lockdown einer einmaligen Pandemie, um nur ein paar der schlimmsten Ereignisse dieses Jahres zu nennen. Es ist das Delirium, aus dem es kein Erwachen gibt.
Wertung
Nach gesundheit.at ist das Delirium eine akute, aber rückbildungsfähige Bewusstseinsstörung. Hoffen wir mal auf's Beste. Bei aller symptomatischer Verwirrtheit finden Edgar und Fatoni jedoch immer noch die passenden Wörter für den Anamnesebogen.
Wertung
Auf dicken Bässen rappen Edgar Wasser und Fatoni unter anderem über die derilöse Realtität einiger Rapper, in der sexistischer und homophoner Rap ja nur das Spiegelbild der Gesellschaft sei und der Deutschrap eigentlich an sich kein Problem mit diesen Dingen hat. So langsam kommt es einem bei dem Album so vor, als wär das mit dem Trap gar kein Witz mehr von Fatoni, sondern fast schon ernst gemeint. Und Juse Ju musste natürlich auch irgendwie mit dabei sein, auch wenn es nur in Form von geschrienen Adlips ist.
Felix ten Thoren
Felix widmet sein Studium der historischen und systematischen Musikwissenschaft in Hamburg. Er wurde mit HipHop sozialisiert, findet aber auch Gefallen an diversen Stilrichtungen von Blues bis Hardcore.