Hi! Spencer und "In den Wolken" - One-Hit-Wonder oder Gesamtkunstwerk?
30.05.2017 | Lucio Waßill
Ich bin ein großer Freund von Samplern – neben einigen Raritäten finden sich eigentlich immer interessante, mir noch gänzlich unbekannte Bands. Auf dem „5 Years of Uncle M“ - Sampler sind gleich einige Gruppen, die mich angefixt haben. Bei einem Song habe ich mich beim Hören desöfteren erwischt, wie ich direkt wieder zum Anfang gespult habe, wenn die letzten Töne erklangen: „Schalt mich ab“ von Hi! Spencer hat mich gehookt.
Nachdem ich mir eingestanden hatte, dass mir dieser eine Song den wohl ersten Ohrwurm 2017 verpasst hatte, begann meine Recherche – ich wollte mehr. „Hi! Spencer“ ist ein eher ungewöhnlicher Bandname und sofort hatte ich eine vielleicht etwas merkwürdige Assoziation dazu entwickelt: Der NDR hatte von 1979 bis 2001 eine deutsche Puppenspielserie mit dem Titel „Hallo Spencer“ produziert . Inwiefern das etwas mit der Band zu tun hat, werde ich in einem späteren Interview noch ergründen müssen. Zurück zum Thema.
„Hi! Spencer“ ist eine Indie-Punk Band aus Osnabrück und seit 2012 musikalisch unterwegs. 2015 erschien das Debütalbum „Weiteratmen“ und ein Jahr später die EP „In den Wolken“, um die es nun auch gehen soll. „Schalt mich ab“ ist der Opener der Scheibe und zeigt in der ersten Minute gleich das Potenzial der Band auf: Lockere Gitarren und Drums unterlegen die unfassbar markante Stimme des Sängers. Sven Bensmanns leicht röhriger Gesang geht sowohl flüsterleise als auch schreiend sofort in Mark und Bein. Mit klarer Aussprache erzählt er vom Scheitern und Hoffen. Nach exakt 48 Sekunden, wenn der Refrain das erste Mal einsetzt, scheint die Welt kurz stillzustehen. Wenn Sven das erste Mal den titelgebenden Ausruf „Schalt mich ab“ in die Welt schreit, überkommt mich Gänsehaut.
Anstatt nun aber abzuschalten, eskaliert die Band total, jedes Instrument spielt sich in Rage. Mit jeder Wiederholung des Refrains wird der Klang breiter, das Schlagzeug kramt noch irgendwo Becken zum Dreschen hervor und die Band schreit nun „Encore“, bevor sich zum Ende des Vierminüters alle beruhigen und scheinbar versöhnen.
Während ich dieses Lied wieder und wieder höre, hätte ich mir beinahe gewünscht, diese Band anders kennen gelernt zu haben: Ich stelle mir vor, wie ich auf einem kleinen Festival irgendwo in der Nähe einer Bühne auf einen der bekannteren Acts warte, während ich die lokale Bierwirtschaft unterstütze. Festivals besuche ich auch gerne, um neuen Stoff zu bekommen. Wenn ich am Ende eines Wochenendes mit einer Liste an Bandnamen, die ich näher hören möchte, nach Hause gehe, bin ich glücklich und zufrieden.
Irgendeine „Newcomer-Band“ mit komischen Namen baut gerade noch ihr Set auf und legt fernab meiner Aufmerksamkeit los. Plötzlich röhrt dieser bärtige Sänger „Schalt mich ab“ das allererste Mal über die wenigen Köpfe, die sich vor der kleineren Bühne versammelt haben. Ich drehe mich überrascht um, 20 Leute in meiner Nähe ebenfalls – wortlos und zeitgleich nicken wir uns in der Gruppe zu und ziehen zur kleineren Bühne. Auf meiner Running Order checke ich noch schnell den Bandnamen und markiere mir den Namen für später.
Jetzt stellt man sich aber die berechtigte Frage: Sind „Hi! Spencer“ ein One-Hit-Wonder? Vier weitere Songs stehen noch an: „Haben“ geht gleich deutlich schneller los und lässt die Gitarren von Malte und Janis scheinbar gegeneinander antreten. Jetzt dürfte man auch mal eine flotte Nummer auf dem Parkett hinlegen. Thematisch geht es eigentlich ähnlich weiter: Sehnsucht und Liebe und so weiter. Der Text ist hier weitaus simpler und lässt das Kitsch-o-Meter ein wenig ausschlagen. Musikalisch aber eine nette Nummer zum nebenbei hören.
Der Track „Kopf in den Wolken“ ist da um einiges stärker und abwechslungsreicher. Streckenweise wird der Sound richtig flächig, wenn Backing-Vocals und Gitarren ein hartes Brett erzeugen. In dem Track leben sich die fünf Musiker richtig aus und man merkt sofort, dass hier jedes Instrument in einander greift.
„Platten“ ist irgendwie gänzlich anders. Die Main-Vocals kommen von Gitarrist Malte und klingen genau wie die Instrumente um einiges bissiger. „Ich höre immer noch die Platten, die wir gemeinsam gerne hatten und spiele immer noch in der Band, die du so hasst“ ist dabei der sich scheinbar endlos wiederholende Refrain mit zunehmender Aggressivität und kann bei der emotionalen Buchhaltung als Abrechnung eingereicht werden.
Im letzten Lied zeigen „Hi! Spencer“ noch einmal, dass sie auch gesellschaftskritische Lieder schreiben können. In „Traum“ rüttelt die Band auf und beschreit die wiedererstarkende Rechte: „Der Traum ist jetzt vorbei, sie sind wieder da!“ schreit es durch die Boxen.
„Hi! Spencer“ geben mit ihrer EP „In den Wolken“ einen Ausblick in die Zukunft der Band – solides Handwerk ist schon vorhanden, jetzt muss das Knülleralbum folgen.
Wertung
Das einmal der Tag kommt, an dem ich Indie-Punk gut finden würde, hatte ich befürchtet. Ich bin froh, dass es bei „Hi! Spencer“ passiert ist! „In den Wolken“ ist eine kurzweilige EP, die auch nach dem zehnten Mal Durchhören nicht langweilig wird. Jetzt ein genauso gutes Album nachlegen!
Lucio Waßill
Im Januar 2016 hat Lucio das Projekt "Album der Woche" als Schnapsidee ins Leben gerufen. Dummerweise fand das Projekt sofort positiven Zuspruch und jetzt leitet er, der eigentlich ein Webentwickler ist, das Fanzine in seiner Freizeit.