Massendefekt und "Zurück ins Licht": Dieses Schiff sinkt nicht
02.11.2020 | Mark Schneider
Die Arbeiten an „Zurück ins Licht“ begannen bereits im August 2019. Unter anderem mietete sich die Band für eine knappe Woche in einem Ferienhaus an der niederländischen Nordseeküste ein, um bei Strandspaziergängen, Saunagängen und gemeinsamen Frühstück unbeschwert an neuen Riffs und Texten zu arbeiten. Das Album hat also nicht nur eine Geschichte, sondern auch viel Zeit zum Reifen gehabt. Was nun als erstes Album nach personellem Wechsel an der Gitarre das Licht der Welt erblickt, ist ein neues Highlight auf dem Karriereweg der Düsseldorfer, die sich zum einen absolut treu bleiben, dabei aber den Spaß am Experimentellen nicht verlieren.
Allein die beiden vorab veröffentlichten Singles mit eindrucksvollen Musikvideos sind richtige Bretter und geben einen ersten Vorgeschmack auf den durchaus kritischen Ton auf „Zurück ins Licht“. Als erstes präsentierten die Jungs den Titel „Autopiloten“ der Öffentlichkeit. Die erste Erkenntnis: Am grundsätzlichen Sound der Band änderte sich in der Zwischenzeit wenig. Der Text fordert dazu auf, das eigene Hirn einzuschalten und sich nicht von breitgetretenen Meinungen ohne Hand und Fuß „von Panik zu Panik“ in den Untergang steuern zu lassen. Auch „Schiffbruch“ findet im typischen Massendefekt-Sound deutliche Worte gegen Rechts und setzt ein Statement zum Paroli bieten. Die beiden Singleauskopplungen gehen beide sofort ins Ohr und wollen dort für lange Zeit nicht mehr heraus. Schließt sich der Rest des Albums diesen Vorboten an?
Es ist immer eine gute Nachricht, wenn ein Album keine eindeutige Schwachstelle aufweist und keine Titel sich wie Lückenfüller anhören, die die Platte noch irgendwie komplettieren müssten. Bei den übrigen neun Songs auf „Zurück ins Licht“ stellt sich dieses Gefühl glücklicherweise bei keinem einzigen Track ein. Im Gegenteil: Der Wunsch auf SKIP zu drücken kommt erst gar nicht auf, jeder Titel hat seinen berechtigten Platz. Nachdem die beiden Singleauskopplungen zusammen mit „Tun Was Ich Will“, ein Song über Freiheit und Rebellion, bereits die ersten drei Tracks abbilden, nehmen Massendefekt ihre Hörerschaft auf eine neun Songs andauernde Punk&Roll-Reise mit, die im Wesentlichen aus Punkrockhymnen und mitsingbaren Melodien besteht.
Massendefekt bedienen sich auf dieser Reise an Themenfeldern, die man von den Vorgängern des Albums bereits gewohnt ist. „Freunde, dachte ich“ oder „Letzte Worte“ behandeln das allseits beliebte Themenfeld von Liebe und Beziehung, „Antikörper“ ruft zur Rebellion auf („Lass uns nochmal unsere Fäuste zum Protest erheben!“), „Spuck in die Luft“ schlägt in eine ähnliche Kerbe ("Du hast doch was zu sagen, also reiß die Schnauze auf!“). Auch die politische Meinung ist mit „Schiffbruch“ noch nicht in Gänze hinausposaunt, denn „Totes Land“ widmet sich den kleinen Dörfern, die sich aufgrund der dort bestehenden politischen Strukturen sowie herrschendem Alltagsrassismus abgehängt fühlen.
Es ist auch auf diesem Album nicht der Stil von Massendefekt, sich auf den Lorbeeren - beziehungsweise dem auf „Pazifik“ bereits so wunderbar gut angekommenen Sound - auszuruhen. Insbesondere „Neelassma“ sowie „Mehr!“ fallen in diesem Kontext besonders auf. „Neelassma“ kümmert sich in humorvoller Art und Weise um die Partybereitschaft im fortgeschrittenen Alter, wenn Kind und Kegel die Stelle des Katers einnehmen und erinnert witzigerweise zu Beginn immens an „Kenning West, Alder“ („Lass mal saufen gehen, lass mal in die Stadt gehen (…) lass mal steil gehen, lass mal richtig abspacken“). Auch die elektronischen Elemente, die zwischendurch die Melodie übernehmen, fallen nicht negativ auf, im Gegenteil. „Mehr!“ erklärt sich im Titel bereits selbst und behandelt das Nichtsattwerden, sowie den Drang nach immer mehr Kohle und Material ohne Rücksicht auf Verluste (oder auf die ertrinkenden Menschen im Mittelmeer). Die Besonderheit hier ist ein Rap-Part, der als gelungenes Experiment angesehen werden darf und im Punk&Roll der Düsseldorfer sogar richtig Spaß macht.
Wertung
Die Releases von Massendefekt gehören mittlerweile wie die regelmäßigen Veröffentlichungen diverser Buchautoren fest eingeplant in mein Leben. Da die Band mir so wenig Grund zur Kritik gibt, darf das auch gerne so bleiben. „Zurück ins Licht“ besinnt sich auf die Stärken der Düsseldorfer, punktet aber durch klare Kante und kleine Experimente.
Wertung
„Zurück ins Licht“ liefert das, was Massendefekt-Fans erwarten: ordentlich abgemischter Sound und eine Mischung daraus, dass die Band sich den Herausforderungen der heutigen Zeit, sowie den allzeit begleitenden persönlichen Problemen stellt. Für meinen persönlichen Geschmack etwas zu abgerundet, zu poppig und auf Dauer etwas langweilig. Ansonsten ein gelungenes Album.
Mark Schneider
Mark kommt aus der wunderschönen, ländlichen Provinz zwischen Siegen und Marburg an der Lahn. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.