Rising Insane und "Afterglow" - deep und deutlich
05.01.2022 | Jannika Hoberg
Die Verbindung von Melodik, Shouts und zwischendurch harten Gitarrenriffs, das ist doch eigentlich der Grundbaustein für Metalcore. Dass das dann oft sehr ähnlich klingt, ist bei der Popularität des Genres wohl kaum überraschend. Doch Rising Insane schaffen es mit einem deartigen Selbstbewusstsein, fast einer Selbstverständlichkeit, sich dieses Genre auf „Afterglow“ zu Eigen zu machen.
Ganz weiche, melodiklastige Parts wechseln sich ab mit einer moshpitfordernden Brachialität in den Gitarrenriffs und Shouts, die zwölf Songs ergänzen sich zu einem stimmigen Gesamtkonstrukt. Und als wäre das nicht genug, die meisten der Songs können auch ohne Albumkontext bestehen – was nicht unbedingt selbstverständlich ist, bei einem so runden Gesamtklang. Noch beeindruckender, dass die gesamte Platte mit Ausnahme der Schlagzeugaufnahmen – die lustigerweise am wenigsten professionell bzw. leicht computerhaft klingen – in Eigenregie produziert wurde.
Doch was wäre ein starkes Album ohne tiefgründige Texte? Auch hier legen sich die Bremer mächtig ins Zeug. Das gesamte Album behandelt psychische Ausnahmesituationen, Abgründe und mentale Erkrankungen. Gitarrist Sven und Sänger Aaron haben beide schwere Schicksalsschläge erlebt und das Album „Afterglow“ repräsentiert den Umgang mit dem Schmerz, die tiefe Verzweiflung, dennoch aufkeimende Hoffnung und schließlich den Weg, sich Hilfe zu suchen. Das Album kann so irgendwie auch als zeitlicher Prozess des Erkennens einer psychischen Erkrankung gelesen werden. Der Album-Opener „Afterglow“ ist voller Schmerz, während der zweite Song „Meant To Live“ mit Zeilen wie „We live nightmares we can not escape, but we fight, […], ‘cause we‘re meant to live“ schon wieder Hoffnung verspricht. Mit dem folgenden Song „War“ beispielsweise wird die Erkenntnis und die Akzeptanz, Hilfe zu brauchen, mit der Zeile „I can not do this alone“ sehr gut verdeutlicht, auch „Can’t you see the war inside me, fighting every day, […] It’s like a parasite, living here inside my mind“ beschreibt das innere Zerwürfnis, das viele psychisch erkrankte Menschen nachvollziehen können, wahnsinnig gut. Eine lyrisch herausragende Beschreibung, wie sich eine Depression anfühlen kann, wird mit dem Song „Something Inside Of Me“ serviert. Der gesamte Text wäre an dieser Stelle eigentlich zitierwürdig, daher eine dringende Empfehlung, den Song einfach mal zu hören.
Auch wenn sich die behandelten Themen zu doppeln scheinen, mentale (Un-)Gesundheit ist immer noch viel zu selten Thema, erst Recht in allen Subgenres des Metals. Außerdem werden so viele unterschiedliche Teilbereiche von Gefühlszuständen angesprochen, dass die Lyrics trotzdem nicht langweilig oder „verbraucht“ wirken, auch weil man einfach hört, wie viel persönliche Erfahrung in den tiefgründigen Zeilen steckt. Und wenn dann trotzdem noch jeder Song für sich musikalisch ein Brett ist, umso besser.
Die Geschichte, oder vielmehr die Gefühle und Emotionszustände, die das Album erzählt und erlebbar macht, wird besonders rund durch den letzten Song „Imprisoned“ abgeschlossen. Die Botschaft, dass es sich lohnt, weiterzukämpfen, wird vor allem in der Phrase „There’s more to live, there’s more to take and you got more to give“ deutlich und ist nach so einem emotional aufwühlenden und dennoch hoffnungsgebenden Album ein wunderschöner und wichtiger Abschluss.
Wertung
Rising Insane beweisen auf dieser Platte, dass Metalcore immer noch etwas kann. Und damit hat „Afterglow“ wenigstens dem letzteen Architects-Album etwas voraus. Das Album hat musikalisch was drauf, gleichzeitig werden verschiedenste Facetten mentaler (Un-)Gesundheit vermittelt und es klingt auch noch insgesamt einfach rund. Reinhören!
Jannika Hoberg
Jannie begeistert von Punk über Metal bis hin zu Hardcore alles, ob aggressive Beats oder auch mal soft - auch außerhalb dieses Genrespektrums. Neben der Leidenschaft für Konzertfotografie ist Jannie mit verschiedenen Instrumenten für diverse Jamsessions zu haben. Zuhause ist dey auf Konzerten und Festivals, ansonsten studiert Jannie nebenbei noch Umweltingenieurwesen in Weimar.