Unter dem Radar #6: Youth Fountain
17.09.2018 | Julius Krämer
Gründung: 2017 (als Bedroom Talk)
Heimatstadt: Vancouver, Kanada
Genre: Emo, Pop-Punk, Post-Hardcore
Bisher veröffentlicht: „Youth Fountain“ EP (2018)
Für Fans von: Touché Amoré, Senses Fail, Taking Back Sunday
"I think about mortality continually. I won`t say constantly, but every day. And so, watching ourselves die is to me overwhelming evidence that there is no life after death. And the troubling, troubling consequence of this is you don`t have to be perfect, you just have to be good enough."
Weise Worte von Bill Nye, seines Zeichens populärer Wissenschafts-Moderator im US-Fernsehen. Der amerikanische Harald Lesch etwa. Einen, auf dessen Wort Verlass ist, wenn man seinen eigenen Gefühlen nicht mehr zu trauen wagt. Eine tröstende Gegenstimme, der man am Ende des Tages doch trotzdem skeptisch gegenübersteht – ganz so einfach ist es schließlich doch nicht. „Blooms“ endet nämlich mit den von Tyler Zanon geschrienen Zeilen „And the older that I get/The more surprised I`ll fucking be/I haven`t ended it all yet“. Diese Musik ist rohes Gefühlschaos, und in jeder Faser von Youth Fountain pocht der Schmerz und die Angst all derjenigen, die sich fremd in dieser Welt fühlen. Eine emotionale Wucht, die trotz des Newcomer-Status‘ der Kanadier bereits an die Intensität der Post-Hardcore-Szenegiganten Touché Amoré erinnert.
Diese selbstreflektierte, introvertierte Interpretation von Pop-Punk ist als Kontrast zu den oft gleichen College-Hymnen der üblichen Verdächtigen mehr als willkommen. „Blooms“ ist der bisher mit Abstand wichtigste Song der Kanadier Youth Fountain, bestehend aus Cody Muraro (voc) und Tyler Zanon (voc, git). Das Duo bewegte sich einige Monate lang unter dem Namen Bedroom Talk relativ unauffällig in den Pop-Punk/Emo-Weiten des Internets – zwei EPs mit jeweils zwei Songs, ein Musikvideo mit charmanter DIY-Ästhetik und ein paar Hundert Facebook-Likes. Und trotzdem dieser Song, getragen von unperfekt komprimierten, cleanen Gitarren, drei stimmungsvollen Akkorden im Intro und einer der kathartischsten Momente der letzten Jahren Emo: „This will forever be/An Apology/Cause I know someday/It will set me free“. Herzzerreißend gescreamt von Tyler und Cody, wuchtig gespielt von der ganzen Band, die eigene Depressivität entwaffnend ehrlich in Klang übersetzt.
„Es hat alles einfach angefangen, Spaß mit der Musik zu haben und Songs zu kreieren, die ehrlich und echt sind – und ich glaube, manche Leute haben das gemerkt“ erzählt Tyler die Anfänge der damals noch Bedroom Talk betitelten Band. Plötzlich featuret das YouTube-Format Dreambound ihre Songs, dann klopft Pure Noise Records an und will das junge Duo unter Vertrag nehmen – ein Neustart folgt, inklusive Namensänderung, Release der Debüt-EP „Youth Fountain“ und eine Platzierung von „Blooms“ in Spotifys offizieller „Pop Punk’s Not Dead“ Playlist. In ein paar Wochen steigen die Like- und Streamingzahlen um ein Vielfaches, der Song wurde auf der Streaming-Plattform mittlerweile über 300.000 Mal abgerufen. Zeit, diese rasante Entwicklung sacken zu lassen, bleibt wenig: „Es ist wirklich verrückt, darauf zurückzublicken, wie schnell alles mit der Band passiert ist und ich kann gar nicht genug betonen, wie dankbar ich für all die Liebe und den Support bin, den wir bis jetzt erfahren durften. Für mich absolut verrückt.“
Das Duo, das im Studio und live mit zwei weiteren, befreundeten Mitmusikern am Schlagzeug und Bass spielt, hat sich schon länger dem Hashtag #poppunksnotdead angenommen. Dabei hat ihre Musik weniger mit dem Highschool-Charme Blink-182s gemeinsam als des Seelenstriptease von Sorority Noise: „Everyday it's all so routine/To live with all the things I fucking hate about me/I've been numb for so long/I'd be better off gone/So scared to die, yet it's all I really want“. Unterlegt von bittersüßen Melodien, und fast nicht aushaltbaren Screams über suizidale Gedanken: „I just wish I had something to live for“. Ehrlichkeit tut weh, und im besten Falle heilt sie dadurch etwas den Schmerz, den wir tagtäglich erleben: „Ich hatte einige schwere Zeiten und Schicksalsschläge im Laufe meines Lebens und Musik war dabei immer etwas, das mir den Schmerz nahm – sei es, sie zu hören, oder selber zu schreiben. Die besten Songs waren für mich eben immer die, die am ehrlichsten und emotionalsten waren“, so Tyler. Bands wie Senses Fail, Less Than Jake, Jimmy Eat World, The Used und Underoath waren für die beiden Musiker immer wichtige Wegbegleiter, die nicht nur künstlerische Bedeutung für sie hatten. „Ich glaube wirklich, dass wenn eine Band in dein Leben kommt und du gerade durch einige richtig dunkle Zeiten gehst – eben diese Künstler zu finden, die dir direkt aus der Seele sprechen - das wird für immer ein Teil von dir sein.”
Ende September spielen Youth Fountain auf ihrer ersten Tour zusammen mit Hawking, Chief State, Gleneagle und Stasis. Im Oktober supportet das Duo dann We Were Sharks in den USA – ihre ersten Shows außerhalb von Kanada. Ihr Debütalbum soll Anfang nächsten Jahres erscheinen, Shows in Europa sind noch nicht geplant, aber angedacht. Tyler und Cody haben einen kleinen Sturm in der Emo-Punk-Szene Nordamerikas ausgelöst, und es wird nicht lange dauern, bis der Tornado aus der Katalyse ehrlichen, aufrichtigen Selbstzweifels auch die Emo-Kids Europas erreichen wird.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.