Die besten Platten 2018: Die Top 5 von Julius
20.12.2018 | Julius Krämer
Punk zieht sich in seine Nische zurück, die Grenzen zwischen Pop und HipHop verschwimmen und Trap regiert die Welt. 2018, du stehst mal wieder exemplarisch dafür, wie lange wir hierzulande brauchen, um die neusten Trends der Staaten zu verinnerlichen. Der Aufstieg eines Bausa oder Rin im letzten Jahr führte dazu, dass auf einmal jeder Rapper und jeder Pop-Künstler Bock auf Trap-Arrangements bekam. Inhaltsleere, Marken-Fixierung und die Glorifizierung von Kokain wurden salonfähig, und man mag mir den Kulturkonservatismus verzeihen, wenn ich stattdessen lieber eine Emo-Oper wie Spanish Love Songs "Schmaltz" rauf und runter gehört habe, die zwar weniger innovativ, dafür in ihrem schonungslosem Seelenstriptease und den bittersüßen Selbstzweifel-Hymnen umso wuchtiger ausfiel. Punk versinkt tiefer in seiner Nische, und auch ich habe mich in diesem Jahr etwas in meine kleine Emo-Blase zurückgezogen. Es bleibt zu entscheiden, ob das nun etwas Gutes oder Schlechtes ist – die wichtigen Impulse unserer Zeit kommen eben aus der neuen Rockmusik, dem HipHop und dem Pop. Denn dort sind mit Mac Miller und XXXTentacion nicht nur prägende Künstler erschreckend jung verstorben, sondern mit "Kids See Ghosts" und The 1975's "A Brief Inquiry Into Online Relationships" auch großartige Alben erschienen. Um es also mit Neufundland zu sagen: Kein Grund zur Beschwerde. Nur eine Beschwerde über die Gründe.
1. Spanish Love Songs - "Schmaltz"
Gefühlt aus dem Nichts kamen die Kalifornier und gaben allen von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Szene-Hörern eine Stimme. Von Teenage Angst über die Qualen junger Adoleszenz bis zur Midlife-Crisis - der destruktiven wie kathartischen Wirkung von Zeilen wie "You might wake up, but you’ll never be better/You might come through, but you’ll always second guess/You might breathe free, but you’ll never stop pacing/You might find love, but you’ll always be depressed" zu entziehen, fällt schwer. Und auch wenn The Menzingers und Tiny Moving Parts ihren Sound schon etwas vorweggenommen hatten – Spanish Love Songs lassen sie alle hinter sich.
2. Foxing – "Nearer My God"
Auch wenn die Weiten des Indie oft unübersichtlich werden, stach doch ein Album unverkennbar aus allem heraus – und das glücklicherweise aufgrund der Qualität und nicht wegen irgendeines Hypes. Foxing bewegen sich auf "Nearer My God" zwischen Avantgarde-Pop, der Verkopftheit von Radiohead und großartig eingängigem Indie. Dabei noch nach 2018 zu klingen, unterscheidet sie jedoch endgültig von ihren Genre-Kollegen.
3. Blackout Problems – "Kaos"
Wohl kaum eine andere deutsche Band kann sowohl einen so vollgepackten Tourplan als auch eine derartige künstlerische Entwicklung vorweisen. Was auf dem Vorgänger "Holy" mit hymnischem Teenie-Rock begann, mündete auf "Kaos" in ein nachdenkliches Werk voller Reflektion, Schmerz und Wundenlecken. Die Münchner brechen die Grenze zwischen Szene-Verkopftheit und elektronischem Pop-Appeal ein und hieven den deutschen Alternative auf ein völlig neues Level. "You were my perfect waste of time/I used to sleep through the night". Wow.
4. Kids See Ghosts – "Kids See Ghosts"
2018 war in gewisser Weise auch das Jahr des Kanye West, der nicht nur mit fragwürdigen Aussagen für Aufmerksamkeit sorgte, sondern auch wegen eines beispiellosen Release-Marathons: Der Mann produzierte und veröffentlichte 7-Track-Alben für Nas, Teyana Taylor, Pusha T und natürlich sich selbst. Die Kooperation mit Kid Cudi aber setzte mit fiebriger Psychedelik und ungewohnt emotionalen Lyrics allen die Krone auf. "Kids See Ghosts" hatte vor unterdrückter Enttäuschung über das Soloalbum "Ye" niemand wirklich kommen sehen, schaffte es aber, sie alle zu vereinen – Rap-Avantgardisten, HipHop-Romantiker und Trap-Puristen.
5. Youth Fountain – "Youth Fountain"
Das Portal Dreambound featurte bereits im letzten Jahr ihren Song "Blooms", den sie noch unter dem Namen Bedroom Talk veröffentlichten. Label-Größe Pure Noise Records im Rücken und einen neuen Namen im Gepäck, schreit das Duo auf der Debüt-EP die herzzerreißendsten Emocore-Momente seit Touché Amorés "Stage Four" hinaus: "I'm obsolete/So easy to replace/But I won’t deserve a chance at happiness living this way". Wenn ihr Debütalbum 2019 erscheint, könnten die Kanadier zu den ganz Großen ihrer kleinen Szene wachsen.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.