Im Interview mit Hirsch von Montreal: Bestandsaufnahme
06.10.2021 | Jan-Severin Irsch
Auf zwei Liegestühlen sitzen Hirsch und ich etwas abseits im Backstagegelände und reden über die Geschichte der Band Montreal. Nicht unweit von Geesthacht fing alles an.
“Wir waren hier alle Schüler, wir kommen hier um die Ecke aus Schwarzenbek, haben uns in der Schule kennengelernt und ziemlich früh angefangen Musik zu machen. Wir hatten, bevor wir fertig waren und weggezogen sind, noch drei Jahre zusammen. Wir sind dann zusammen nach Hamburg gezogen und das hat auch ziemlich schnell sehr gut funktioniert”, sagt Hirsch mit einem stolzen Unterton. Gelassen, gut gelaunt und grinsend erzählt er, dass es nicht direkt der Berufswunsch war, Musiker zu werden: "Wir hatten nicht sofort einen Hype oder Hit, sodass da kein finanzieller Druck auf das Gefüge gekommen ist, was bei vielen jungen Bands manchmal zu einem Problem wird. Dadurch, dass wir die Freundschaft immer gepflegt und sehr ernst genommen haben, haben wir alles immer ganz gut geschafft.” Die Geschichte einer Schülerband, die auch über die Mauern der Schule hinaus weiterhin Musik macht, ist keine seltene, wenngleich eine durchaus spannende. Über eine lange Zeit zusammenzuhalten und zu wachsen ist durchaus eine Herausforderung. Montreal haben es Schritt für Schritt angefangen:
“Auch, dass die Band immer nur Stück für Stück gewachsen ist und nie diesen einen riesen Schub hatte, wo eine Band dann immer Gefahr läuft, gegen die Wand zu fahren; das hatten wir nie. Wir hatten immer die Zeit uns dann zu akklimatisieren. Quasi wie beim Bergsteigen, man soll ja auch nicht direkt 5000 Meter hochgehen, sondern immer Etappenweise den Körper daran gewöhnen, dann kann er da mit”, sagt Hirsch in seinem nordischen Charme.
Etappenweise den Berg erklimmen, Montreal machen sich da auch durch ihren Namen alle Ehre; die kanadischen Berge sind nicht ganz ohne. Doch interessieren eben die besagten Etappen. Wie hat Montreal angefangen zu wachsen? Üblicherweise mit dem ersten Album, klar. Aber, “dass wir es als Schülerband hinbekommen haben ein Album aufzunehmen, war schon toll, also klar hat da jemand im Studio die Knöpfe gedrückt, aber dass wir das organisatorisch und finanziell hingekriegt haben zu der damaligen Zeit - viele Bands um uns rum haben das nicht geschafft.”
Als spannender Erfahrungsbericht und auch Hinweis an junge Bands, hat Hirsch auch noch etwas im Petto:
“Wir hatten einfach sehr früh einen sehr guten Drang, das alles einigermaßen sinnig zu verbreiten. Die ersten drei Alben haben wir zusammen mit einem Hamburger Label gemacht und uns angeguckt wie man das macht und eben auch nicht macht. Ab dem vierten Album haben wir dann ein eigenes Label aufgemacht und bringen die Alben ab jetzt selber raus. Und das ist da schon der größte Clou. Als Band heutzutage ist es sehr wichtig, die Rechte an den Songs zu haben. Als 2015 dann Streaming groß wurde, wurden wir sehr sehr unabhängig. Bei den meisten Bands geht die Kohle dann zu den Labels, wir haben aber den sehr großen Vorteil, dass wir schalten und walten können wie wir mögen. DIY ist der Überbegriff, wir sind da sehr autonom und autark. Hinzu kommt, dass man ein sehr gutes Team braucht. Wir haben da sehr nette Leute um uns rum, die uns dabei helfen. Unser Merch-Verkäufer zum Beispiel ist mit uns zur Schule gegangen.
Hirsch erzählt mir von den “schwierigen Momenten” der Band. Dem aufmerksamen Fan wird die Punchline im Montreal Song “15 Jahre” nicht entgangen sein. Dort heißt es: “Fast immer ohne Anschreien”. Tatsächlich liegt eine sehr lange Strecke ohne ernstzunehmende Auseinandersetzung hinter dem Trio, verrät mir Hirsch. “Wenn mal wer zu spät kommt dann gibt's mal einen Spruch oder so, aber wirklich ernste Auseinandersetzungen haben wir lange nicht gehabt. Man kennt sich einfach sehr gut und wir kommunizieren viel, das ist auch das Schöne. Wenn irgendwo ein Furz quersitzt, dann schaffen wir den aus der Welt.” Gesunde Freundschaftspflege kann man da nur sagen. Doch erlaubt so eine grüne Welle an Friede, Freude, Eierkuchen natürlich auch für viele schöne Momente. Offenbar sehr viele, denn auf die Frage muss Hirsch erst mal überlegen. “Auf jeden Fall das 15 Jahre Montreal Konzert in der großen Freiheit - klar, gerade ne schwierige Geschichte mit dem Laden, aber damals war der noch lupenrein. Da haben wir unter anderem mit der „Sondaschule“ gespielt. Das war ein sehr ergreifender Abend.” Trotz all der Kontroversen in der letzten Zeit war und ist es doch ein besonderer Ort für die Band. “Die Große Freiheit war für uns der Ort, an dem wir in unserer Jugend Bands wie “Die Ärzte” gesehen haben. Das Ding dann selber voll zu machen, war sehr schön. Aber auch viele Festivals, zum Beispiel auf dem Hurricane gespielt zu haben, oder mit der Bloodhoundgang durch ganz Europa getourt zu sein, mit Mitte 20 war das alles sehr spannend.”
Spannend ist ein gutes Wort, denn aus diesen Anfängen hat sich eine tolle Karriere für die drei Musikerfreunde ergeben. Die Jahre des Zusammenhalts und der Erfolgserlebnisse haben auch den Lockdown erträglich gemacht. “Ich glaube, sehr junge Bands trifft das viel härter. Bei uns ging das, wir haben uns ganz gut beschäftigt gehalten. Wir sind dann Dinge angegangen, die wir vorher immer so vor uns hergeschoben haben. Zum Beispiel diese Cover-EP, auf der wir Songs von befreundeten, aufgelösten Bands aufgenommen und rausgebracht haben, alles sehr liebevoll gestaltet.” Allgemein wurde viel ausprobiert: Geisterkonzerte oder Autokino-Konzerte wie in Bonn. “Es war jetzt überhaupt nicht so, als hätten wir rumgesessen in der Zeit. Das einmal gemacht zu haben ist wunderschön, aber nichts, was man auf Dauer haben möchte. Natürlich ist das, was diesen Sommer passiert, je nach Ort näher dran an der normalen Konzert-Realität wie wir sie kennen”, meint Hirsch.
Nebst erfolgreichen Projekten und Konzerten in anderer Form haben Montreal aber auch private Treffen und Proben nicht außerachtgelassen. “Wir haben sehr viel geprobt, viel mehr als sonst. Manchmal war das auch der einzige Kneipenersatz. Wir haben uns dann getestet, zu dritt in den Raum eingeschlossen, schön einen reingezimmert und Montreal-Songs gespielt - gibt schlimmere Dienstage”, sagt Hirsch lachend und schaut zu seinen Bandkollegen rüber, die etwas weiter weg im Backstage die Sonne genießen. “Anfang dieses Jahres haben wir dann mit der Bestandsaufnahme für das neue Album begonnen und dann ging schon wieder die Planung für den Sommer los. Es gab also immer was zu tun.”
Die Arbeit für das neue Album mit dem Titel “Bestandsaufnahme: 2003 - 2021” wurde etwas anders als gewöhnlich angegangen. Anstatt alles selber zu entscheiden holten sich Montreal ein bisschen Hilfe. "Wir haben geahnt, dass das viele Diskussionen geben könnte und wir dadurch eventuell am Publikum, an den Fans vorbei entscheiden. Als Band findet man ganz andere Lieder gut oder auch nicht, und jetzt einfach nur die Top 15 von Spotify zu nehmen, war uns auch ein bisschen zu arm”. Also wurden die Leute gefragt, die es am besten wissen. Mithilfe einer Website und einer einmonatigen Abstimmungsphase haben dann doch mehr Fans mitgemacht als erwartet. “Die haben das Album entschieden. Knapp 3000 Leute haben hier das Ding verzapft und die sind auch alle im Booklet vermerkt. Das ist ein sehr dickes und klein beschriebenes Booklet geworden. Wir haben uns ein bisschen verschätzt mit der Anzahl der Leute, die da mitmachen; wir dachten so 500 bis 1000 vielleicht und haben auch versprochen, dass die mit aufs Shirt draufkommen - das hat den Graphiker dann in eine knifflige Situation gebracht, aber wir haben es geschafft. Es ist jetzt eine Wand aus Farbe auf dem Rücken.”
Zusätzlich zu den bekannten Songs wurden drei weitere komponiert und mit auf das Album gepackt. So auch der Song mit dem recht eigenen Titel “Danke für die Nase”. Da das Album Werke aus mehreren Jahren Bandgeschichte darbietet, stellt sich die Frage, wie ein Montreal-Song überhaupt entsteht und woher so ein Titel kommt. Hirsch erzählt: „Bei den letzten Alben war das immer öfter so, dass die Texte zuerst da waren. Also ich schreibe die Texte und gebe die an Yonas, unseren Gitarristen. Yonas schreibt die Musik dazu. Aber der Titel für „Danke für die Nase“ stand relativ schnell fest, zurückzuführen auf den Arbeitstitel. Hinterher haben wir dann einfach gesagt, dass wir den so nennen.” Wo Experten aus der Musikbranche darauf pochen, dass ein Songtitel sich eher am Refrain orientieren sollte, versuchen Montreal, das wenn es irgendwie geht das zu vermeiden. "Das ist immer bisschen cheesy", sagt Hirsch. "Klar, es gibt Lieder wie zum Beispiel „Auf der faulen Haut“, wo man das machen kann, aber es muss nicht zwingend passieren.”
Ein Hingucker als Titel ist er allemal und auf jeden Fall irreführend: "Das würde bei der ein oder anderen Band Richtung Drogenkonsum gedeutet werden. Aber weit gefehlt" meint Hirsch lachend. "Es ist ein Dankeslied an die Großeltern.” 17, fast 18 Jahre Bandbestehen, 7 Alben, 2 EPs, 840 Liveshows - und kein Ende in Sicht. “Wir hätten natürlich mehr gehabt, also müssen wir jetzt aufholen”, sagt Hirsch mit Feuereifer. Ob denn etwas feststeht zum 1000. Konzert oder zur 20. Jahrfeier?
"Ne, fest steht nur, wir werden das nicht in Düsseldorf in einem Stadion machen, das bringt Unglück. Irgendwas werden wir aber schon machen. Wir sind da große Düsseldorf-Freunde“. Meine kölnischen Ohren spitzen sich.
"Düsseldorf steht auf jeden Fall für den leichtfüßigsten, filigransten und von Sprach- und Wortwitz durchtränktesten Punkrock Deutschlands.”
„Echt?“, frage ich.
„Nicht!", fällt mir Hirsch grinsend ins Wort, bevor ich es zu Ende aussprechen kann. "Ist eher ne klobige Geschichte".
Er lacht herzlich, schaut auf seine Uhr und verabschiedet sich in Richtung seiner Bandkollegen - die Bühne ruft.
Jan-Severin Irsch
Jan-Severin macht seit er denken kann Musik. Durch verschiedene Chöre, Bands und Lehrer ist er mittlerweile Lehramtsstudent für Musik mit Hauptfach Gesang, ist Sänger seiner eigenen Alternative/Punkrock-Band und Teil eines Barbershop-Chores in Köln. Von Klassik bis Jazz, von Chor- bis Punkrockmusik hört und spielt er alles gern. Ohne Musik geht nicht.