Underoath und „Erase Me“: Ein durchwachsenes Comeback
31.03.2018 | Merten Mederacke
Es gibt kein klassisches Underoath-Album. Jedes Album war anders als der bzw. die Vorgänger, weil man begann, den Stil des vorigen zu hassen, so sagte es die Band in einem Interview.
„On My Teeth“ heißt die erste Single zum neuen Album „Erase Me“. Damit wählte man einen wirklich starken Vorboten. Die Kernelemente Underoaths waren und sind doch schließlich Spencer Chamberlains und Aaron Gillespies unverkennbare Stimmen im Zusammenspiel.
Auch hatten Underoath immer einen Keyboarder für die effektbeladenen Sounds dabei. Auf „Erase Me“ kommen diese besonders oft zur Geltung. Derlei zeitgenössische elektronische Elemente sind im modernen Metalcore häufig vertreten, wenn sie nicht sogar beginnen, den Sound zu dominieren. Die zweite Single „Rapture“ ist melodischer und poppiger und damit auch stellvertretender für das Comeback Album als „On My Teeth.“
„Wir wollen beweisen, dass wir das alles gerade in der möglichst aufrichtigsten Art und Weise tun. Wir haben uns noch nie so im Einklang mit uns selbst gefühlt. Als Menschen, als Musiker und in unserer Weltanschauung“, sagt Schlagzeuger Aaron Gillespie. Die Quintessenz der elf Songs auf „Erase Me“ ist eindeutig: Aufrichtigkeit. Underoath thematisieren die düsteren und von außen vermutlich nicht leicht nachvollziehbaren Umstände ihrer Auflösung und wie Religion in einzelnen Bandmitgliedern Desillusionierung auslöste. Man darf also davon ausgehen, dass der Sound von „Erase Me“ Projektionsfläche dieser Ehrlichkeit ist. Was sich durch das ganze Album zieht, sind die wilden Trommeln, welche unglaublich antreiben. Da hat Aaron Gillespie sich selbst übertroffen.
„Erase Me“ ist insofern abwechslungsreich, als dass Underoath einmal mehr ihr Spektrum an musikalischer Vielfältigkeit erweitern. Der Song „Wake me“ erinnert schon fast an Deuce oder Dark-Pop, ein Klavier offenbart sich als präsentestes Instrument. Auch „Bloodlust“ beginnt ähnlich poppig. So manches Songintro auf diesem Album erinnert an Linkin Park. Das klingt zwar wie ein Kompliment, allerdings waren viele Linkin Park Fans mit der musikalischen Entwicklung der Band sehr unzufrieden.
„In Motion“ weist mit wilden Gitarrenläufen im Kontrast zu einem breiten Chorus wieder Spuren alten Materials auf, doch der Funke will auch hier nicht recht überspringen. Der Closer endet mit beinahe echokardiographischen Geräuschen. So gewinnt man den passenden Eindruck, dass die Underoath'sche Selbstuntersuchung hier ein Ende findet. Im Kern des Albums steckt der ehrliche Umgang mit sich selbst, so die Band. Selbstfindung ist ein durchaus modernes Thema und ebenso modern ist das Soundprodukt auf „Erase Me“.
Seit „Disambiguation“ sind schließlich auch bereits acht Jahre vergangen. Elf seit „Define The Great Line“. Feel old yet? „Erase Me“ ist, in getreuer Underoath-Manier, wie keins ihrer Alben zuvor. Synthesizerklänge sind auf dieser Platte so präsent, ja, gar tonangebend, wie auf keinem anderen Underoath-Album. Insgesamt bietet „Erase Me“ weniger Härte als vielleicht erhofft oder erwartet, doch keinen Deut weniger Emotion. Es ist der Band und Produzent Matt Squire durchaus gelungen, die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, die die sechs Musiker bewegt, zu vertonen. Die Entwicklung des Sounds hört sich in keiner Weise ausschließlich nach „man muss doch mit der Zeit gehen“ an. Dafür klingt die Gesamtheit der elf Songs oftmals schlichtweg zu wild, disharmonisch und unbequem. Allerdings lässt sich der poppige Charakter vieler Nummern auf „Erase Me“ nicht leugnen. Und ob Underoath das so blendend steht, ist eine streitbare Frage.
Wertung
Ob das nicht eher ein Linkin-Park-Album ist, habe ich mich gefragt - und das als großer Underoath-Fan. Aber selbst eine Lieblingsband kann mir derlei Stilelemente nicht schmackhaft machen. Von Geschmäckern mal abgesehen ist die Platte hinsichtlich des selbsterklärten Ziels durchaus gelungen. Für mich finden sich jedoch mehr Songs zum Skippen als zum Dauerschleifehören.
Wertung
"Erase Me" hat einige starke Momente, gerade das abschließende "I Gave Up" ist großes Core-Bombast-Kino. Insgesamt retten diese lichten Augenblicke aber nicht über zu viele Mittelmäßigkeiten, die hinter gewaltigen (und zugegeben launigen) Soundwänden versteckt werden.
Merten Mederacke
Merten hat Soziologie, Politik und Philosophie studiert. Seit Jahren treibt er sich auf Konzerten und Festivals herum und fröhnt allem, was Gitarre, Rotz und Kreativität so ergießen. Bei Album der Woche versucht er stets, den Funken seiner Passion auf jeden Lesenden überspringen zu lassen.