Unter dem Radar #7: Kochkraft durch KMA
31.10.2018 | Jakob Uhlig
Gründung: 2015
Heimatstadt: Duisburg/Köln
Genre: Electro-Punk, Disco-Pop, „Neue Deutsche Kelle“
Bisher veröffentlicht: „Volle Pulle“-EP (2015), „Noch mehr Hits !!11!“-EP (2015), „Kommando Pappenheyer“-EP (2016), „Endlich Läuse“ (2018)
Für Fans von: Monster Zoku Onsomb!, Bondage Fairies, Tex Taiwan
„Ich finde die aktuelle Musiklandschaft nicht verwerflich, aber ich finde, dass vieles nicht mehr so von Herzen kommt. Musik ist oft nicht mehr so gnadenlos in dem, was sie sein sollte.“ Wenn Lana Van da Vla so von der aktuellen Popkultur spricht, werden die Motive ihrer Band schnell deutlicher. Wo andere Künstler klar dem Vorbild ihrer Zeitgenossen in braver Folgsamkeit hinterherrennen, schaffen Kochkraft durch KMA in lautem Ton ihren eigenen Klangkosmos. „Ich glaube, diese Selbstdefinition ist eher ein Ausdruck dafür, dass es diese Angepasstheit bei uns von vorneherein nicht geben soll. Wir machen die Musik, die von selbst entsteht. Hauptsache gnadenlos. Wenn wir merken, dass ein Song kompromisslos bescheuert ist, dann ist er das eben.“
Diesen Worten lässt die Band musikalisch Taten folgen. Die Songs von Kochkraft durch KMA sind oft schwer definierbar, treiben durch eine laute Mischung aus Electro-Punk und Disco-Pop. Dieses Verwirrspiel hat System: Bereits der Bandname lässt viele Fragen offen und nur wenig sichere Antworten zu, alle Bandmitglieder treten nicht unter ihren bürgerlichen Namen, sondern unter Pseudonymen auf. Sogar die selbstkreierte Genrebezeichnung „Neue Deutsche Kelle“ ist ein Wortwitz. „Wir wollen den Hörer fordern und lassen auch zu, dass er so weit denkt wie er möchte. Man kann unsere Songs einfach nur so feiern, oder man gräbt eben tiefer und entdeckt die versteckte Botschaft dahinter.“ „Wir wollen nicht berechnen“, ergänzt Berayhabipper, Drummer von Kochkraft durch KMA. „Wir lehnen die zeitgenössische Kunst nicht ab, sondern lassen im Gegenteil alles zu. Dann schreiben wir auch mal eine ungewöhnlich eingängige Nummer wie ‚Eins zum Lieben, eins zum Laster‘, was wir vorher noch nie gemacht hatten. Und dann wird die sogar unsere erste Single, obwohl sie für den Sound eigentlich gar nicht repräsentativ ist, aber eben für unsere bunte Arbeitsweise.“
Diese Offenheit führt manchmal zu interpretativen Auseinandersetzungen, die von der Band gar nicht so vorgesehen waren: „Ich habe einen Kumpel, der das Album total abfeiert und mir im Zwei- bis Drei-Tagesrhythmus Nachrichten geschrieben hat, wie sehr er die Liebe und die Details mag, die in der Platte stecken“, berichtet Berayhabipper. „Er hat die ganze Zeit versucht, dem Song ‚Der Gott von Zappoduster‘ eine Message zu entlocken – dabei gibt es da keine. Der Song erzählt einfach nur die Geschichte von einem mystischen Wesen, das aus einem Museum ausbricht. Als ich ihm das gesagt habe, war er echt beruhigt. Dass so etwas passieren kann, finde ich so spannend an dieser Platte.“
Besagtes Album trägt den Kochkraft-durch-KMA-typisch leicht paradoxen Titel „Endlich Läuse“. Paradox deswegen, weil hinter dieser fehlgeleiteten Metapher eben doch ein wahrer Kern steckt. Der gleichnamige Titelsong beschreibt einen Protagonisten, der einen eigentlich negativen Zustand als wünschenswert betrachtet, weil er durch ihn endlich Teil einer Masse sein kann. Musikalisch inszeniert der Track dieses finstere Gedankenspiel mit einer düster tobenden Hook, die ihre Kernaussage durchdringend hypnotisch transportiert und dabei das ungute Gefühl mit sich bringt, hier einen Zwang zu vermitteln, der in unserer Gesellschaft tief verwurzelt ist. „Ich glaube das ist etwas, was jeder kennt“, beschreibt Lana Van da Vla ihre Sicht der Dinge. „Das gehört einfach zur Persönlichkeitsbildung dazu. Man lehnt etwas komplett ab und gehört trotzdem zu einer Gruppe dazu. Wenn man reflektiert genug ist, erlebt man das an sich selbst, aber auch bei anderen Leuten, immer und überall. Das gehört zum Menschen.“
„Endlich Läuse“ ist mit dieser schwierigen Botschaft ein ideales Beispiel für die Ambivalenz vieler Kochkraft-Songs. Trotz seiner düsteren Thematik lässt sich der Refrain nämlich hervorragend mitgröhlen – die Stimmung am heutigen Abend in der Astrastube ist entsprechend. Das führt dazu, dass manch einer vielleicht gar nicht bemerkt, wozu er gerade stimmungsvoll die Kehle anstrengt – was Kochkraft durch KMA aber nicht unbedingt stören muss. Immerhin freut sich die Band auch, wenn jemand in „Zombiecolor“, einem treibenden Song über das Leben als Untoter, plötzlich einen Kommentar zum typischen AfD-Wutbürger sieht. Unmissverständlicher ist da schon „DJ Summertime“, das mit seiner gekonnten Parodie auf kitschige Sommer-Popsongs wenig Spielraum für Interpretationen lässt. „Das macht aber allen richtig Spaß“, kommentiert Fickie Leandros, der bei Kochkraft durch KMA an den Synthesizern steht. „Wir gehen da nicht mit der Attitüde ran, jemanden richtig fertig machen zu wollen. Jeder strahlt einfach tief aus seiner Seele. Eigentlich macht es Formen und Konventionen erst sichtbar, wenn man sie von allen Seiten abtastet. Dadurch wird einem diese Form eines Dulli-Popsongs erst bewusst. Aber das ist jetzt keine böse Kritik.“ „Hast du die astreinen AA-Reime im C-Part entdeckt?“, ergänzt Berayhabipper grinsend. „Was glaubst du, was wir für Tränen gelacht haben, als wir das geschrieben haben.“
Es sind wohl solche Momente, wegen denen die Musik von Kochkraft durch KMA von einer gewissen Sorglosigkeit beherrscht wird. Das kann in einer Welt guttun, die sich gerade für viele Menschen immer mehr zu einem Krisengebiet entwickelt. Trotzdem weiß auch die Band, dass blanker Eskapismus nicht der richtige Weg sein kann. Nach den Ereignissen in Chemnitz tritt die Band im Rahmen von „#wirsindmehr“ ein Benefizkonzert in Duisburg an. „Wir sagen nicht, dass jemand etwas genau so machen oder wählen soll, wie wir es sagen, aber wir müssen das ansprechen“, erklärt Lana Van da Vla ihre Sicht auf diese Situation. „Wir wollen, dass die Menschen darüber nachdenken, nett zueinander sind und darauf Acht geben. Wir müssen wie jeder und jede andere auch Laut geben, wenn etwas nicht gut ist.“ Passenderweise dazu beherbergt „Endlich Läuse“ unter seinen wild tosenden Klangwelten eine essentielle Nachricht: „Wenn man nach einer übergeordneten Botschaft suchen würde, dann wäre das wohl: ‚lieb sein‘. Sei nett, freu dich einfach, sei kein Arsch. Die Botschaft ist ein großes Herzchen.“
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.