Betroffene über Corona #2: "Am Ende wird etwas Neues entstehen!"
13.04.2020 | Jakob Uhlig
Kora Winter: Wir konnten uns angesichts der Corona-Shutdowns noch relativ „glücklich“ schätzen. Natürlich hatten wir uns enorm auf unsere „Bitter“-Release-Tour gefreut und waren mehr als ready, endlich wieder Shows zu spielen. Doch als die ersten Absagen verkündet wurden, konnten wir noch rechtzeitig reagieren und vermeiden, auf Kosten wie zum Beispiel der Tourbusmiete sitzen zu bleiben. Die spontan gewonnene Zeit investieren wir in Songwriting, durch die Kontaktsperre haben wir unsere Home-Studios weiter ausgebaut, um einzeln an Ideen und Demos zu arbeiten. Außerdem konnten wir mit unserem eigenen Label Auf Ewig Winter die Zeit nutzen, um den Release der Haxan-EP „War“ mit mehr Aufwand hinsichtlich der Promo-Strategie zu veröffentlichen. Das Releasedatum lag mit dem 27.03.2020 genau in der Anfangsphase der deutschlandweiten Kontaktsperre, Fotos und zwei Musikvideos zur EP haben wir im Februar mit Robin Deutschbein (Lintur Films) abgedreht. Es sieht so aus, als wären wir sowohl mit Kora, als auch mit Haxan und Auf Ewig Winter für die Krisenzeit gewappnet - was offensichtlich auch damit zusammenhängt, dass wir finanziell noch nicht von den Projekten abhängig sind. Es gibt aber einige Clubs, Bars, Künstler*innen und Kleinunternehmen, die aktuell viel akuter von der Krise betroffen sind und dies auch öffentlich bekunden - diese Menschen brauchen auf jeden Fall Unterstützung.
Paul Kreuzer (Home Away From Home Booking/ A Saving Whisper): Als Booker im DIY-Bereich betrifft mich die „Corona-Krise“ insofern, dass momentan viele Veranstalter*innen und Spielstätten nicht konkret auf meine Anfragen antworten können. Viele Clubs zwingt die vorrübergehende Schließung finanziell in die Knie. Es gibt viele Petitionen und Soforthilfen, um den Kulturbetrieb nach der Krise weiterführen zu können und um finanzielle Löcher zu stopfen. Seitens der Regierung ist zwar der 20. April als Wiedereröffnung angesetzt, trotzdem herrscht eine große Unsicherheit diesbezüglich, ob es wirklich normal weitergeht im April und darüber hinaus. Dazu kommt noch, dass viele Veranstalter*innen erstmal die abgesagten Shows im Anschluss nachholen möchten – was natürlich super ist. Somit verschiebt sich die komplette Konzertplanung für 2020 aber nach hinten. Manche Konzerte und Touren werden auch gar nicht nachgeholt. Jetzt ist es an mir, die Lücken und freien Termine rechtzeitig herauszufinden und anzufragen. Ich buche sechs bis vier Monate im Voraus. Sprich, ich konzentriere mich jetzt hauptsächlich auf den Herbst und Winter. Da ich fast ausschließlich mit Bands arbeite, die nicht von ihrer Musik leben, spüre ich die Auswirkungen eher sanft. Für die Bands, die von der Musik ihre Miete etc. bezahlen müssen, heißt kein Auftritt auch kein Einkommen.
Als Musiker persönlich profitiere ich gerade sehr von der zusätzlichen Zeit zuhause. Da wir uns mit A Saving Whisper gerade im Songwritingprozess befinden, mussten sowieso keine Konzerte oder Touren abgesagt werden, da wir uns 2020 zurückziehen. Wir treffen uns momentan täglich in Discord und gehen gemeinsam in uns, um für die kommende Scheibe Konzepte und Songideen auszuarbeiten. Parallel schreibe und recorde ich zuhause täglich. Ich habe auch noch ein Emo-Folk Soloprojekt namens Stampede. Da ich diese Zeit gerade als sehr inspirierend empfinde, konnte ich gut in mich gehen und einen neuen Song schreiben, aufnehmen und veröffentlichen. Er trägt den Namen „Firefly“. Man kann ihn auf Bandcamp hören. 😉
Wichtig ist es jetzt, die Kunst und Kultur nicht zu vergessen. Sie ist nur in Quarantäne und kommt wieder! Wenn sie wieder frei ist, soll es noch Menschen geben, die es sich leisten können sie zu machen. Ich erlebe gerade wieder eine belebte Debatte über soziale Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen. Um es auf den Punkt zu bringen, würde ich gern meinen Bandkollegen und Freund Hannes zitieren: „Egal, ob von einer persönlichen Krise oder einer kollektiven ausgegangen wird: Es fühlt sich unangenehm an, aber hat ein riesiges Potential, Gewohnheiten zu verändern. Zum Beispiel wie wir wirtschaften, wie wir handeln, wie wir wahrnehmen, denken und wertschätzen. Am Ende ist die Krise ein Punkt, an dem etwas Neues entstehen wird, wenn wir die Kraft aufbringen, frei von Illusionen, aber dafür mit Visionen und Entschlossenheit, unsere Zukunft zu gestalten. Egal was kommt, wir sollten das Beste daraus machen und positiv in die Zukunft blicken, ganz rational und mit einer guten Portion Menschlichkeit.“
Marius Giese (Datenschmutz): Ich selbst arbeite hauptberuflich in einer Veranstaltungstechnik-Firma in den Bereichen Kundenbetreuung, Planung und Durchführung von Veranstaltungen. Derzeit ist die Firma aufgrund einer Ausfallquote von 100% auf 100% Kurzarbeit gestellt. Es gibt keine Aufträge und aufgrund der Unklarheit über die Zukunft kommen nur sehr spärlich neue Anfragen für die zweite Jahreshälfte rein. Für die Firma und die Mitarbeiter ist das der Super-GAU, da niemand prognostizieren kann, wann zur Normalität zurückgekehrt werden kann. Von der finanziellen Unübersichtlichkeit ganz zu schweigen.
Zusätzlich bin ich als FOH-Techniker einer Band unterwegs, die für dieses Jahr eigentlich einen gut gebuchten Plan aus Tour- und Festival Shows hatte. Auch hier geht Künstlern, Veranstaltern und Crews eine Menge Geld sowie Fortschritt flöten. Lösungswege kann ich keine bieten - sonst wäre ich Wissenschaftler oder Arzt. Was aber dringend benötigt wird ist ein roter Faden, der den Menschen Sicherheit und Hoffnung gibt. Ein Plan, der absehbar macht, wie es weitergeht, eine Information, wie das Jahr für die Betroffenen Branchen weitergeführt wird und wer den kompletten Schaden - nicht nur ein paar Euro - abfedert. Die Leute sollen schließlich nicht in Panik verfallen oder vereinsamen.
Katastrophen Kommando: Vor zwei Wochen kam die Idee, irgendwie 'nen Konzert dem Absagenhagel zum Trotz zu veranstalten, da wurde dann schnell probiert, wo es am besten funktioniert und anschließend zeitnah umgesetzt. Da wir online nicht so übermäßig präsent sind und bis dato noch nie einen Live-Stream organisiert hatten, war's ‘ne spannende Sache und schön mitzukriegen, dass über die ca. 50 Minuten immer 40-50 Leute vor ihrer Kiste saßen. Hätte ja auch anders kommen können. Nahm man dann mit einem großen Grinsen als großes, liebes Kompliment an. Proben ist momentan im Spontanurlaub, wird aber hoffentlich demnächst wieder aufkreuzen.
Schade war bzw. ist auf jeden Fall, dass nun auch Konzerte in weiterer Ferne abgesagt werden. Vor allem bitter, sollten die mehrtägigen Festivals ins Wasser fallen, da dürfen wir dieses Jahr zum ersten Mal ran, wäre schon 'ne dufte Sache. Ansonsten macht uns eher die Ungewissheit gen 2021 Sorge, planmäßig sind wir da bereits ordentlich am rödeln, eventuell müssen wir uns dahingehend allerdings umstrukturieren. Noch sind wir aber zuversichtlich!
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.