Jahresrückblick 2024: Dave
24.12.2024 | Dave Mante
Es ist wohl wieder so weit, es ist Zeit für den Jahresrückblick beim Album der...Moment checks note, Plattensprung Fanzine. Erneut reflektiere ich hier sowohl in normalen als auch in sehr persönlich abgestimmten Kategorien das Musikjahr. Ich möchte wieder Geschichten erzählen, mich etwas aufregen und vor allem wieder genug vergessen, was mir dann erst im Nachhinein auffällt.
Song des Jahres
Ich starte mit dem Song des Jahres bzw. eher sollte es wohl „Single des Jahres“ heißen, denn ich behandle in dieser Kategorie keine Songs, welche ich einfach so von bereits erschienenen Alben nehme, sondern Singles, welche (erstmal) so erschienen sind. Nun war ich hier in dem eher angenehmen Dilemma, dass mir vor allem Songs einfielen, welche bereits Alben oder EPs entnommen werden können, ich somit nicht mehr auf den Release warten muss. Beim Scrollen durch mein Wrapped fiel mir dann jedoch der Song „INFECTED“ der Hardcore-Band DOGBITE ein. Dieser markiert für mich einen sehr großen Anstrich dieses Jahres, denn nicht nur habe ich dieses Jahr ziemlich viel Musik gehört, die viele andere Menschen wohl als „Krach“ bezeichnen würden, nein ich habe auch einige dieser Konzerte besucht. Der Song ist dabei so eine Bank, auf die ich immer wieder zurückkomme. Das Ding ist brutal, böse und ballert einem das Trommelfell aus der Hörmuschel. Lieben wir!
Was lange währt, wird endlich gut...des Jahres
In dieser Kategorie möchte ich auf meine ewige Mission eingehen, endlich mal die Sachen zu hören, die ich schon lange hätte, hören solle. Dazu hab ich sogar angefangen, unregelmäßig eine Kolumne zu machen und hab auch so angefangen, mehr Empfehlungen von Menschen zu hören, die meinen Musikgeschmack auch nur im Entferntesten teilen. Irgendwann bin ich durch ein Reel auf Instagram mal wieder auf die Band Turnover gestoßen, vor allem auf das Album „Peripheral Vision“, und meine Güte, das Album hätte mich in kaum einer besseren Zeit erwischen können. Das erste Mal habe ich die Platte Mitte September gehört, kurz nach dem letzten starken Sommerhoch traf mich das Ganze wie ein melancholischer Hammer, und mit dem Album fiel für mich der Herbst und seine einnehmende Stimmung schon früher ein. Es schreit alles nach buntem Laub, frischen, sonnigen Tagen, prasselndem Regen am Abend und einer heißen Schokolade auf der warmen Couch und einem guten Buch. „Like Slow Disapearing“ ist dabei einer der Songs, welche ich am meisten gehört habe und ich glaube so langsam wird es Zeit, die anderen Alben der Band auch mal zu hören.
Spot the Difference
Die Kategorie, in welcher ich aus meinem alltäglichen Hörverhalten rausgehe und mir die Alben angucke, welche aus meinen gängigen Genres rausstechen. Dieses Jahr sind das sogar zwei und diese zwei sind so unterschiedlich, dass dies wohl das einzige Mal ist, dass sie in einem Absatz zusammen erwähnt werden. Die erste Platte wäre „Kleine Feuer“ von Paula Hartmann. Ursprünglich über TikTok mit „7 Mädchen“ entdeckt habe ich dann erst reingehört, als sich Moritz dem Album hier angenommen hat und man ist das ein emotionales und sich textlich überschlagendes Brett. Voll von Poesiealbum-Zitaten, Romantik und Weltschmerz rappt Paula Hartmann auf diesem Album die wohl mit ehrlichsten und emotionalsten Texten des Jahres, welche von stets eindringlichen und drückenden Beats unterstrichen werden.
Und ohne jetzt hier einen großen Spannungsbogen aufzubauen, das andere Album ist „Die Urkatastrophe“ der Black Metal Band Kanonenfieber und alle die jetzt vor Lachen wegklicken, denen kann ich das kaum verdenken, aber für die, die das alles als „typisch Dave“ abtun können, sag ich jetzt, warum. Wisst ihr, ich finde Bands wie Sabaton nicht nur in ihrem Auftreten und eh schon überzogenem Genre unfassbar zum Fremdschämen. Ihre vertonten Kriegsheldengeschichten, Glorifizierung und Pompöisierung ist nicht nur langweilig, sondern auch unfassbar peinlich und als ich zum ersten Mal von Kanonenfieber gehört hab, dachte ich, das wird jetzt genau das nur in Black Metal, also eine Musikrichtung, die ich eigentlich noch schlimmer finde. Aber dem ist nicht so, also nicht komplett, denn während ich einige Texte ebenfalls ziemlich schlimm finde, weil ich das Überzogene schon über drei Ecken riechen kann, so ist die Gesamtheit vor allem damit beschäftigt, ein ganz anderes Bild vom Ersten Weltkrieg zu zeichnen. Denn die Texte beschäftigen sich vor allem mit dem Grausamen, was diese Schlachten mit sich brachten, mit der Kriegshysterie und der allgemeinen Faszination des Kriegsprozesses. Es schreibt also vor allem Songs welche Antikrieg sind, ohne Helden und Götter und vor allem ohne Schlagzeuger, die in Panzern sitzen und Sänger, die aussehen, als wären sie aus einem amerikanischen Thriftshop in Texas gefallen.
Konzert(e) des Jahres
Ich habe dieses Jahr eine Sache gelernt. Rückblick in 2023, als ich 61 Konzerte besucht und auch ALLE fotografiert habe. Dieses Jahr habe ich so viele Konzerte abgesagt wie noch nie, ich war teilweise ausgelaugt und dass mein Topsong nach Wrapped der erste Song meiner Editing Playlist ist, sagt mir, dass ich echt viel gearbeitet habe. Daher bin ich auf diverse Konzerte privat gegangen, war mal wieder im Moshpit (nach 7 Jahren ey) und habe mal wieder Konzerte angetrunken oder betrunken erlebt (das ist keine Alkohol Glorifizierung, aber ich trinke sonst nie auf Konzerten, weil ich dann nicht mehr die Qualität liefern kann, die ich liefern will). Dabei fallen mir vor allem das Enter Shikari Konzert in Berlin ein, welches mich mit Show, Setlist und Energie so unfassbar beeindruckt hat, dass das Zweite in Dresden, welches kleiner und auch sehr unterwältigend war, schon fast nichtig erscheint. Die anderen beiden ohne Kamera waren Turbostaat mit ihrer Vormann Leiss Jubiläumsshow in Chemnitz und Egyptian Blue, eine noch kleine Post-Punk-Band, welches den Schokoladen in Berlin so gut wie komplett ausgefüllt hat. Hier waren es vor allem die Tage rund rum, welche die Konzerte so erinnerungsträchtig und schön gemacht haben. Und weil ich es gerne immer hätte, dass ein Turbostaat Konzert damit beginnt, dass Jan Windmeiner mir „GUTEN TAG!“ ins Gesicht brüllt.
Mit Kamera und von der Überraschung her war jedoch ein anderes Konzert ganz oben. Im Juli haben Press Club aus Australien im Frannz Club gespielt und das war wohl eines der besten Konzerte, auf denen ich jemals war. Vorher wurde mir gesagt, dass es wohl nicht so voll werden wird, fand ich schade, aber das war eh weit gefehlt, der Club war absolut packed und Press Club haben 70 Minuten lang so eine unfassbare Energie versprüht, die vom Publikum in Gänze reflektiert wurde. Ich saß vorher den halben Tag rum und habe einen wahrhaft angenehmen Sommertag genossen, um dann komplett zerstört aus dem Club zu taumeln, gefüllt mit wahnsinnig viel Freude.
Und ganz ehrlich, über das Rock am Berg gibt's einen ganzen, sehr langen Text voller Liebe.
Worst Thing
Neben dem Trend überall Dubai vorzuhängen, um etwas für 5 Euro mehr zu verkaufen, finde ich es sehr fragwürdig, wie die Festivallandschaft voll von Namen wie Falling in Reverse ist. In jedem Line-up größerer Festivals liest man Namen von Bands, welche transphobe Mitglieder, Täterschützer, kirchliche Fanatiker oder sexistische Macker beherbergen und noch schlimmer, Menschen, die trotzdem hingehen, Geld reinbuttern und sich dann beschweren, wenn man sie für ihr Fehlverhalten kritisiert. Aber na ja, dass Rock am Ring, Impericon und Co. problematischen Menschen eine Bühne bieten, ist ja mittlerweile bekannt.
AdW oder eher Plattensprung Moment des Jahres
Im Sommer haben wir uns mal wieder privat getroffen und neben seriösen Dingen wie der Umstellung vom AdW auf Plattensprung und generellem Umstellen der redaktionellen Arbeit wurde natürlich wieder super viel gelacht, geredet und Erinnerungen aufgebaut. So begann es schon damit, dass Frank und ich in unserem Apartment für eine Band gehalten wurden oder wir einen langen Spaziergang machten, während eine Sturmfront auf uns zukam. Ein wenig fühlte ich mich so, als wären wir auf einer LAN Party und nach 8 Stunden Minecraft hätte man sich aus der abgedunkelten Bude begeben, um neuen Pfanner Eistee aus dem Lidl gegenüber zu holen. Am Ende stand ich mit Kai und Frank vor einer Übertragung des Champions League-Finales, inklusive Sekt aus Plastikbechern (beides von der Gastgeberin der Wohnung gestellt).
Musikalischer Moment des Jahres
Auch hier gibt es zwei. Dabei ist einer recht schnell passiert. Captain Planet haben beim Rock am Berg in Merkers gespielt und gegen Ende des Sets spielten sie „St. Peter“ und ich liebe diesen Song so sehr, dass ich alles von mir warf und in den Moshpit gerannt bin. Das kurze Niederlegen der Arbeit war genau die Befreiung und Ruhe, die ich gebraucht habe. Das Zweite war eine in diesem Moment eher unbequeme Sache. Die italienische Screamoband Øjne spielte im März in Leipzig und durch eine späte Setzeit und einen Bahnstreik buchte ich mir den ersten Flixbus um 3 Uhr und saß nach dem Konzert noch zwei Stunden lang mit netter Begleitung im Noch Besser Leben. Als ich an der Haltestelle ankam, so gegen halb 3, hatte der Flixbus bereits zwei Stunden Verspätung. Es führte dazu, dass ich um 5 mit dem ersten Zug gefahren bin, nachdem ich fast drei Stunden lang allein am Leipziger Hauptbahnhof saß. Mittlerweile gucke ich darauf gern als gute Geschichte und so schlimm war es am Ende nicht mal. Für das Konzert, welches absolut großartig war, war es all das so wert.
EP des Jahres
Ja, ich hab es ja verstanden, ich sollte aufhören, EPs nicht ganz so gut zu finden. Aber starten wir damit, wie das angefangen hat, dass ich diese Aussage mal wieder bereut habe. Ich stiefelte durch Wien, es war mein letzter voller Tag meines letzten Urlaubs des Jahres. Und ich wartete etwas länger an einer roten Ampel, und was sah ich da? Counterparts droppten einfach so eine EP, wo sie ja schon früher im Jahr ein ziemlich gutes Livealbum gedroppt haben. Ich hab mit B-Seiten gerechnet, bin ich ehrlich, und dann brüllt mir Brendan Murphy für diese Songs so bretthart ins Gesicht, dass ich für die kurze Laufzeit nicht glauben konnte, was ich da höre. Aber dazu habe ich bei dem Musicfanzine, dessen Name nicht genannt werden soll, schon ein paar Zeilen zugeschrieben.
Album des Jahres
Hier nochmal viel dazu verlieren wäre mehr Wiederholung als alles andere. Caseys Comeback-Album „How to Dissappear“ ist für mich mit Abstand das beste Album des Jahres. Ich wüsste nicht, ob ich jemals eine bessere musikalische Änderung einer Band gehört habe. Immer und immer wieder komme ich auf die Platte zurück und ich glaube, das wird auch erstmal so bleiben.
2025
In 2025 freue ich mich vor allem erstmal auf neue Musik von Turbostaat und Heisskalt, aber albentechnisch war es das dann erst mal und auch konzertmäßig werden es wie immer die kleinen sein, welche so richtig rausstechen. Vor allem aber freue ich mich auf die Festivalsaison in Merkers mit dem Rock am Berg, in Zwickau mit dem Störfaktor und zu Hause in Dresden, mit dem Farewell Youth Fest, an welchem ich aber auch selbst mitarbeite.
Bis zum nächsten Text!
Bussi!
Dave Mante
Aufgewachsen zwischen Rosenstolz und den Beatles hört sich Dave mittlerweile durch die halbe Musikwelt, egal ob brettharter Hardcore, rotziger Deutschpunk, emotionaler Indie oder ungewöhnlicher Hip Hop, irgendwas findet sich immer in seinen Playlisten. Nebenbei studiert er Kunstgeschichte, schlägt sich die Nächte als Barkeeper um die Ohren oder verflucht Lightroom, wenn er das gerade fotografierte Konzert aufarbeitet.