“The Revolution Will Be Televised?” - Die Protesthymnen der Generation Fridays For Future
04.02.2020 | Kai Weingärtner
Der Protestsong ist schon so alt wie der Protest selbst. Von den Worksongs der afroamerikanischen Sklaven, denen jüngst durch Zeal & Ardor zu neuem Ruhm verholfen wurde, über die Antikriegshymnen von Bob Dylan bis zu den Songs von Punk-Bands wie Pussy Riot. Da scheint es kaum verwunderlich, dass auch der Kampf für Klimagerechtigkeit seine eigenen Protestsongs bekommt. Nur wer schreibt die? Dieser Artikel beschäftigt sich stichprobenhaft mit dieser Frage, und vielleicht finden ja ein paar Songs ihren Weg in die ein oder andere Demo-Playlist.
Einer der ersten Songs, der im Kosmos Klimawandel popkulturelle Wellen schlug, war Michael Jacksons “Earth Song”. Der “King of Pop” singt sich hier seine Frustration über den menschlichen Umgang mit der Erde und ihren Ressourcen aus dem Leib. Ob des Legendenstatus’ des Interpreten und des durchaus expliziten Videomaterials sorgte “Earth Song” für kollektive Empörung und regte eine nicht unerhebliche Debatte über Ressourcenmanagement an. Doch auch 20 Jahre nach dem Erscheinen des Tracks sieht es um den Planeten nicht viel besser aus, und diesmal scheinen die großen Popstars der Stunde nicht gewillt, musikalisch dazu Stellung zu beziehen. Es ist also an der alternativen Musikszene, den Kampf gegen den Klimawandel in gesungene Worte zu fassen. Eine Band, die das 2017 versucht hat, waren die neuerdings deutsch singenden Pop-Punker Itchy mit ihrem Song “The Sea”. Bei diesem Track aus ihrem Album “All We Know” handelt es sich zwar im Vergleich zu den steigenden Meeresspiegeln um einen recht seichten Song, das Musikvideo entstand allerdings in Kooperation mit der Organisation Oceancare. Die bemühen sich darum, möglichst viel von dem Plastikmüll, den wir so in unsere Meere schmeißen, wieder rauszuholen. Das Musikvideo entfaltet überhaupt erst die Wirkung des Songs, in dem es die leichtfüßigen Feelgood-Vibes von “The Sea” mit Bildern von zugemüllten Stränden konterkariert.
Einzelne Songs, die sich mit dem Thema Klimawandel und Umweltschutz auseinandersetzen, finden sich in den Diskografien vieler Künstler wieder. So haben auch die US-Hardrocker Alter Bridge auf ihrem 2013er Album “Fortress” einen Song darüber geschrieben. “Waters Rising” widmet sich, untermalt von düsteren Gitarrenriffs und drückenden Bässen, den katastrophalen Konsequenzen, die die fortschreitende Erderwärmung mit sich bringt: Überflutungen, Waldbrände, Hungersnöte. Aber bei all seiner düsteren Dringlichkeit bleibt auch “Waters Rising” schlussendlich ein thematischer Ausreißer. Im Folgenden soll es deshalb um zwei Künstler gehen, für die sich die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel zu einem festen Bestandteil ihres musikalischen Schaffens entwickelt hat.
This is an appeal
To the struggling and striving stakeholders of this planet
This floating rock we call Earth
Mit diesen Worten eröffnen Enter Shikari ihr Album “The Mindsweep”. Der Opener der Platte ist ein flammender Aufruf an alle Zuhörenden, sich dem gerade relevantesten Konflikt zu stellen, dem sich die Menschheit je gestellt hat. Mit zunehmender Laufzeit des Songs steigert sich Frontmann Rou Reynolds immer weiter in seine Delivery hinein, bis der Song schließlich am Höhepunkt der Spannung in einem brachialen Breakdown mündet. Im weiteren Verlauf des Albums appellieren Enter Shikari immer wieder an ihre Fans, sind sie doch alle ihrer Ansicht nach Teil der letzten Garnison.
Der Protest gegen die nicht ausreichend stattfindende Klimapolitik zieht sich durch den gesamten Auftritt der Band. Enter Shikari sind ein politisches Statement. Vom Bühnenbanner, das eine grafische Illustration der Erderwärmung darstellt, bis zur Begrüßung des Publikums mit den Worten: “Hello, we are Enter Shikari, we are from Europe!” Dieses politische Bewusstsein findet auch immer wieder seinen Weg in die Musik des Quartett, auch außerhalb von “The Mindsweep”. Schon auf dem 2012 erschienen Vorgänger “A Flash Flood Of Colour” finden sich gleich mehrere Songs zum Thema Klimawandel. Das spoken-word-lastige “Constellations” konstruiert eine Metapher über die bewusste Entscheidung für oder gegen eine nachhaltige Zukunft, während das energische “System/Meltdown” mit schweren Breakdowns versucht, die Nachricht von der Krise in die Köpfe der Verantwortlichen zu hämmern. Die wohl bissigste Kritik der Band offenbart sich aber im Song “Arguing With Thermometers”. Schon der Titel ist ein Verweis auf die Sinnlosigkeit der ewigen Debatte um die “Echtheit” des Klimawandels. In bester Enter-Shikari-Manier wechselt der Song zwischen aggressiven Shouts und eingängigen Hooks. Ein Rundumschlag gegen alle Klimaleugner.
Andere Künstler gehen in ihrem Umgang mit dem Thema Umwelt- und Klimaschutz etwas subtiler vor. Schonmal was von Cli-Fi gehört? Das steht für Climate Fiction, ein Subgenre der Science-Fiction-Literatur, das sich in den 2000ern etabliert hat. Hier geht es oft um die möglichen Konsequenzen des Klimawandels, verpackt in Weltuntergangsszenarien und Geschichten über Weltraumkolonien á la “The Expanse”. Eine ähnliche Herangehensweise an das Thema pflegen auch die australischen Kritiker-Lieblinge King Gizzard & The Lizard Wizard. Nicht nur, dass die Psychedelic-Rock-Revolutionäre jüngst zwei Live-Alben veröffentlichten, deren Erlöse komplett in die Bekämpfung der Waldbrände in Australien flossen, sie stricken auch in ihren Studio-Alben immer wieder Geschichten rund um den Klimawandel und seine Konsequenzen, wenn auch immer etwas abgedreht und mit einer ordentlichen Portion Humor. Das 2019 erschienene Album “Fishing For Fishies” handelt beispielsweise vom depressiven Cyborg “Cyboogie”, der von den Menschen gezwungen wird, die letzten “Fishies” aus dem Wasser zu fischen.
Etwas weniger komödiantisch, aber dafür mit einer stringenteren Narrative, geht es da auf King Gizzard’s aktuellen Platte “Infest The Rat’s Nest” zu. Diese Platte ist nicht nur eine Ode an den Thrash-Metal, sondern auch ein Climate-Fiction-Opus über die Zerstörung der Erde und die Flucht der Menschen in den Weltraum. “Superbug” erzählt die Geschichte von einer völlig resistenten Epidemie, die die Armen zurückgebliebenen dahin rafft. Die Reichen haben sich indes nämlich Richtung Mars verzogen, wie der Song “Mars For The Rich” verdeutlicht. Das Album ist ein absolutes Fest für jeden Fan von leicht trashigen Sci-Fi-Klassikern, es ist aber eben auch eine subtile Kritik an der ignoranten Klimapolitik, die sich auch im Heimatland der Band noch größter Beliebtheit erfreut.
Die Sorge um die fehlende Beschallung des globalen Klimastreits ist also völlig unberechtigt, so lange Künstler wie die oben genannten noch kreative und relevante Musik zu diesem Thema schreiben. Egal ob auf der Demo gegen das neue Kohlekraftwerk oder beim Bäume pflanzen für den guten Zweck, die oben genannten Songs bieten für jede Klimaretter-Tätigkeit den passenden Score. Na gut, vielleicht lasst ihr die Enter-Shikari-Platte beim Urban Gardening mit der Oma lieber zuhause …
Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.